Als Erfolg wertet Kammerpräsident Leitl das Bildungskonzept der ÖVP: "Die Vorstellungen der Sozialpartner sind in greifbarer Nähe."

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Standard: Halten Sie das ÖVP-Bildungskonzept für den großen Schritt, als der es verkauft wird?

Leitl: Ich halte es für eine gute Grundlage. Gemäß der Konvergenztheorie kommen wir im Bildungswesen allmählich zusammen. Es ist ermutigend, dass man sich in der Regierung bemüht, einander näherzukommen - das unterscheidet sich wohltuend von anderen Diskussionen. Ich sehe die Vorstellungen der Sozialpartner in greifbare Nähe gerückt.

Standard: Was halten Sie für einen Fortschritt?

Leitl: Am Allerwichtigsten ist das Bekenntnis zur vorschulischen Erziehung, insbesondere was die Sprache betrifft. Es darf kein Kind in einer Volksschule landen, das nicht fähig ist, dem Unterricht zu folgen - die halten die anderen auf, verlieren das nötige Selbstvertrauen und bringen die Lehrer zur Verzweifelung. Der zweite Fortschritt ist, dass alle Zehn- bis 14-Jährigen die gleichen Chancen haben sollen, egal, was auf der Schultype draufsteht. Es darf keine Vorselektion geben, wie sie Pädagogen für schädlich halten. Damit unser Land im internationalen Wettbewerb bestehen kann, müssen wir jede Begabung nützen.

Standard: Die ÖVP hält aber am Gymnasium und damit an der Vorselektion fest. Die gemeinsame Schule aller Zehn- bis 14-Jährigen, die Sie wollen, ist nicht vorgesehen.

Leitl: De facto doch. Machen wir uns kein X für ein U vor. Die Bezeichnung der Schultypen ist eine Frage des Dienstrechts und des Gesichts, die mich nur sekundär interessiert. Wichtig ist die Entfaltung der Begabungen: Förderung der Schwächeren, Forderung der Stärkeren. Für die neue Mittelschule muss wie für das Gymnasium gelten: Am Ende sollen alle 14-Jährigen die mittlere Reife haben, die sie befähigt, in das höhere Schulwesen einzutreten.

Standard: Experten zweifeln diese angebliche Durchlässigkeit an.

Leitl: Die Einwände gilt es auszudiskutieren. Auf lange Sicht werden Gymnasium und Mittelschule selbstverständlich zu einer gemeinsamen Schule zusammenwachsen - das ist logisch. Nur wissen wir als gelernte Österreicher, dass es nicht geht, gewachsene Strukturen niederzuwalzen. Auch Finnland hat die gemeinsame Schule in einer zehnjährigen Übergangsfrist eingeführt.

Standard: Was vermissen Sie im ÖVP-Konzept?

Leitl: Die Quervernetzung zur beruflichen Ausbildung. Für mich ist wichtig, dass Schüler, die nach der mittleren Reife den dualen Bildungsweg - Lehre mit Matura - wählen, danach genauso auf Fachhochschulen und Universitäten gehen können. Und es fehlen noch systematische Angebote zum lebenslangen Lernen. Schulische Ausbildung sollte längst nicht mit Lehre, Matura oder Diplom abgeschlossen sein. (Gerald John, DER STANDARD, Printausgabe, 12.1.2011)