Beinahe 35 Prozent aller Lehrlinge kommen aus Polytechnischen Schulen. Ohne eine weiterführende Ausbildung haben sie keine Chance am Arbeitsmarkt.

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Ein Drittel der Poly-Schüler ohne Hauptschulabschluss kommt aus Wien. Am Poly können sie ihren Abschluss nachholen.

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Im neuen Bildungskonzept kündigt die ÖVP ein "Poly Neu", also eine Reform der Polytechnischen Schulen, an. Für Kritiker wie den grünen Bildungssprecher Harald Walser wird es höchste Zeit, die neunte Schulstufe zu erneuern. Er bezeichnet das Poly im Interview mit derStandard.at eine „bildungspolitische Sackgasse", und auch die OECD übt Kritik am Poly und empfiehlt dringend Refomen.

Großteil kommt aus Hauptschule

"Laut einer internen Erhebung haben von fast 22.000 Poly-Schülern 3,5 Prozent keinen Hauptschulabschluss", sagt Franz Haider von der Arbeiterkammer. Etwa ein Drittel der Schüler ohne Abschluss würde dabei auf Wien entfallen. Der Statistik Austria zufolge wechseln nur 0,5 Prozent der Schüler, die die AHS-Unterstufe besucht haben, anschließend in Polytechnische Schulen.

Das Poly ist die einzige Schule, die Schüler mit negativem beziehungsweise ohne HS-Abschluss aufnimmt. Hinzu kommt: Findet ein Schüler nach diesem Jahr keine Lehrstelle, hat er die Möglichkeit, ein weiteres, freiwilliges zehntes Schuljahr im Poly zu absolvieren.

Chance auf Lehrplatz

Laut Schulstatistik der Berufsschulen kamen im Schuljahr 2008/09 insgesamt 34,6 Prozent der Lehranfänger aus einer Polytechnischen Schule. 26,7 Prozent haben ihr neuntes Schuljahr in einer BMS oder BHS absolviert, 14,8 Prozent kommen direkt aus der Hauptschule, haben also dort schon ihre Pflichtschulzeit absolviert.

„Ein Poly-Absolvent hat keine Arbeitsmarkt-Chancen", meint Erwin Rosenthal vom Arbeitsmarkt-Service. Das hieße aber nur, dass er keine Berufsausbildung hat. „Das Poly bereitet aber Schüler gut auf die Aufnahmetests der Unternehmen vor", sagt Rosenthal. Dies sei ein großer Vorteil zu Berufsbildenden Höheren und Mittleren Schulen.

Wohin nach der Hauptschule?

„In der Berufsbildenden Schule ist die Entscheidung über die Berufswahl schon gefallen, das Poly dient dazu, eine Entscheidung zu treffen. Jugendliche, die in eine Berufsbildende Schule wechseln, wollen eine Alternative zur Lehre ausprobieren", heißt es vom AMS. Das Poly würde den Jugendlichen ein weiteres Jahr zur Berufswahl gewähren und Schülern mit negativem Abschluss die Möglichkeit geben, ihren Hauptschulabschluss nachzuholen.
Von einem schlechten Ruf des Polys ist man beim AMS nicht überzeugt. Das seien großteils Vorurteile, so Rosenthal.

Auch für die Arbeiterkammer ist die Chancengleichheit für Poly- und BMS/BHS-Abgänger gegeben. "Ich glaube, der Unterschied ist nicht sehr groß", sagt Günther Zauner von der Abteilung Lehrlings- und Jugendschutz der AK. Ein BMS/BHS-Abgänger hätte laut Zauner nur dann einen Vorteil, wenn er auch den in der Schule erlernten Lehrberuf annehme. Die Schulwahl für die neunte Schulstufe sei für Unternehmen nicht ausschlaggebend einen Lehrling auszubilden. Das Hauptproblem sei vielmehr der akute Lehrplatzmangel. "Auf einen Lehrplatz kommen vier Jugendliche", so Zauner.

OECD kritisiert hohen Migrantenanteil

Etwas mehr als 20 Prozent der österreichischen Schüler mit Migrationshintergrund besuchen Polytechnische Schulen. In Wien sind es etwa 60 Prozent. Dies kritisiert auch die OECD in ihrem Bericht vom Juni 2010 zur beruflichen Bildung in Österreich. „Das System (das berufsbildene Schulsystem) scheint sich auf Menschen mit Benachteiligung, wie etwa Schüler mit Migrationshintergrund und niedrigem Bildungsniveau, zu konzentrieren", heißt es in dem Bericht.

Beim Wechsel zwischen der achten, der neunten und der zehnten Schulstufe komme es außerdem zu unterbrechenden „doppelten Übergängen". Dieser zweifache Schul-Wechsel würde sich negativ auf die Lernerfolge der Schüler auswirken. Darüber hinaus müssten Polytechnische Schulen für manche als Sprungbrett in eine andere Schule herhalten, wird im Länderbericht kritisiert. Auf der anderen Seite gäbe es zahlreiche Schüler, die dem Poly ausweichen und dann andere Schulen zuerst überfüllen und nach einem Jahr wieder verlassen würden.

Poly am Land beliebter

Die Attraktivität der Polytechnischen Schulen hänge laut OECD von der Region ab. So würden sie in ländlicheren Gebieten einen besseren Ruf haben, als in den Städten. Weiters wird kritisiert, dass die Österreichische Regierung seit 2001 Bildungsstandards für die vierte bis achte Schulstufe erarbeitet hat, diese für die neunte Schulstufe allerdings fehle. Den Bildungsstand der Schüler könnte somit schwer abgeschätzt werden.

Auch der grüne Bildungssprecher Walser sieht Verbesserungsbedarf. Sowohl Polytechnische- als auch Berufsschulen sollen so aufgewertet und um allgemeinbildende Inhalte erweitert werden, dass "prinzipiell immer ein Wechsel an eine AHS oder Berufsbildende Höhere Schule und damit auch ein Maturaabschluss möglich sein", sagt Walser.

Gespräch zwischen Schmied und Karl

Von Seiten des Unterrichtsministeriums gibt es noch wenig zum "Poly Neu" zu sagen. Es gehe dabei "um eine Aufwertung dieser Schulform", teilt die Sprecherin von Bundesministerin Claudia Schmied mit. Das "Poly Neu" soll auf jeden Fall Thema bei den Gesprächen mit der SPÖ sein. "Noch diese Woche gibt es ein erstes ausführliches Gespräch der beiden Ministerinnen Karl und Schmied, wo auch der weitere Fahrplan festgelegt werden soll", so die Sprecherin. (Daniela Neubacher, derStandard.at, 12.Jänner 2011)