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Menschen in Tucson, Arizona, beten für Gabrielle Giffords vor der Klinik, in der sie liegt.

Foto: dapd/York

Tucson/Washington - Nach einem Attentat auf eine Veranstaltung der demokratischen Abgeordneten Gabrielle Giffords in Arizona wurden im US-Kongress alle Termine für diese Woche abgesagt. Es wird keine Abstimmungen geben, auch jene von den Republikanern angesetzte über die umstrittene Gesundheitsreform Präsident Barack Obamas nicht.

Giffords war Samstag auf dem Parkplatz eines Shoppingcenters in Tucson in den Kopf geschossen und lebensgefährlich verletzt worden. Sechs Menschen, darunter ein offenbar zufällig anwesender Bundesrichter, ein Mitarbeiter Giffords' und ein neunjähriges Mädchen, kamen bei der Schießerei ums Leben. 19 wurden verletzt.

Am Tatort wurde der 22-jährige Jared Lee Loughner als mutmaßlicher Schütze festgenommen. Er hatte zuvor ein wirres Abschiedsstatement im Internet gepostet. Nach einem weiteren Verdächtigen suchten die Ermittler Sonntagabend noch.

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Gabrielle Giffords tat, was amerikanische Abgeordnete häufig tun am Wochenende, wenn sie den Grabenkämpfen der Hauptstadt Washington entfliehen, um sich daheim mit ihren Wählern zu treffen. In Tucson, vor einem Supermarkt der Safeway-Kette, hatte sie einen Stand aufgebaut. "Der Kongress an Ihrer Ecke", ein Gespräch unter Nachbarn, wenn man so will. Rund dreißig Interessierte standen am Samstagmorgen Schlange, um ihrer Volksvertreterin zu erzählen, was sie für Sorgen haben.

Es war kurz nach zehn, als ein Mann mit einer halbautomatischen Pistole auf Giffords zustürmte, ihr aus nächster Nähe eine Kugel in den Kopf jagte und anschließend scheinbar ziellos in die Menge feuerte. Sechs Menschen wurden erschossen, zwölf weitere verletzt, einige von ihnen schwer. Unter den Toten sind ein neunjähriges Mädchen und der Bundesrichter John Roll, der rechte Law-and-order-Fanatiker mit milden Urteilen in Fällen illegaler Einwanderung gegen sich aufgebracht hatte.

Der Täter, ein 22-Jähriger namens Jared Lee Loughner, hatte vergeblich versucht, in die Berufsarmee einzutreten. Er wollte nach Afghanistan, die Army nahm ihn nicht, aus Gründen, die sie nach den Worten eines Sprechers vorläufig für sich behalten möchte. Was genau Loughner zu seiner Wahnsinnstat trieb, ist bislang unklar. Unter seinem Namen sind im Internet Videos zu sehen, in denen er der US-Regierung Gehirnwäsche vorwirft und Adolf Hitlers Mein Kampf zu seinen Lieblingsbüchern zählt. Ehemalige Klassenkameraden beschreiben ihn als geistig verwirrt.

Hatte anfangs die Version vom Amok laufenden Einzeltäter die Runde gemacht, so schloss die Polizei später nicht aus, dass der Schütze Komplizen hatte. "Wir sind nicht davon überzeugt, dass er allein handelte", sagt Clarence Dupnik, der zuständige Sheriff. Zumindest ein Mitverschwörer soll Loughner zum Tatort gefahren haben. Dass er in dem Auto nicht fliehen konnte, lag an der Zivilcourage eines Passanten. Nach Augenzeugenberichten stürzte sich der Mann entschlossen auf den Schützen, als der gerade nachladen wollte. Er rang ihn zu Boden und konnte ihn so lange im Schwitzkasten halten, bis die erste alarmierte Polizeistreife eintraf.

Präsident Barack Obama sprach von einer unsagbaren Tragödie, einer sinnlosen und schrecklichen Gewalttat, die sich gegen den Kern der Demokratie richte, den Dialog der Wähler mit ihren Volksvertretern. "Der Ärger, der Hass, die Bigotterie in diesem Land, das alles nimmt skandalöse Ausmaße an", beklagt Dupnik, der Sheriff, "und leider ist Arizona zu einem Mekka des Hasses und der Vorurteile geworden."

Schon im April war der Kakteenstaat an der Grenze zu Mexiko in die Negativschlagzeilen gerückt. Damals wollte er der Polizei per Senatsnovelle erlauben, jeden anzuhalten, der aussieht, als könnte er illegal eingewandert sein. SB 1070, wie das Gesetz heißt, löste einen Sturm der Entrüstung aus, bevor ein Richter es teilweise entschärfte. Das Wort vom Rassismus machte die Runde: Es war abzusehen, dass Streife fahrende Beamte Menschen mit brauner Haut und schwarzem Haar eher stoppen würden als weißhäutige Blondinen.

Gabrielle Giffords lehnte die drakonischen Kontrollen rundheraus ab. Zwar plädierte sie dafür, die Grenze zu Mexiko besser zu sichern - zugleich aber forderte sie eine Einwanderungsreform, um die schätzungsweise zwölf Millionen, zumeist aus Lateinamerika stammenden und oft schon lange in den USA lebenden illegalen Immigranten aus der Rechtlosigkeit zu holen. In Tucson trug ihr das den Zorn der Rechten ein, die eine bewaffnete Bürgermiliz gegründet hatten. (Frank Herrmann aus Washington/DER STANDARD, Printausgabe, 10.1.2011)