Mark Twain könnte man wahrscheinlich gar nicht zitieren. Was der zart misanthropische Autor zur Neubearbeitung seines 1885 in den USA erschienenen Buchs The Adventures Of Huckleberry Finn sagen würde, fiele wohl derselben politischen Korrektheit zum Opfer, die nun den Korrekturstift bei seinem weltberühmten Roman ansetzt.

In der Geschichte über den vor seinem Vater fliehenden Huck und den ausgerissenen Sklaven Jim kommt das zur Zeit ihrer Entstehung gängige Wort "Nigger" gezählte 219-mal vor. Nun wird es durch "Sklave" ersetzt, anstelle der für amerikanische Ureinwohner verletzenden Bezeichnung "Injun" steht ab sofort "Indian" zu lesen. Als Nächstes will der im Bundesstaat Alabama ansässige Verlag NewSouths Books The Adventures Of Tom Sawyer bereinigen.

Das löste einen Streit über Werktreue und Zensur aus. Nichts Neues in Zusammenhang mit den beiden Büchern: Wegen ihrer bisher beibehaltenen authentischen Wortwahl werden die zu den Klassikern der US-amerikanischen Literatur zählenden Abenteuerromane in den Schulen schon länger nicht mehr gelesen, sie gelten als unzeitgemäß.

Die schärfste Kritik an den neuen Versionen kommt von Ishmael Reed, einem afroamerikanischen Autor und Bürgerrechtler, dessen satirische Arbeiten zu den besten der US-amerikanischen Nachkriegszeit zählen.

Statt einzelne Wörter zu zensieren, sollten die Verantwortlichen die Bücher besser lesen, um sie überhaupt zu verstehe, fordert er. Sie würden feststellen, dass "der 'Nigger' Jim mehr Tiefgang und Profil hat als die Schwarzen, die man heute in Film, Theater und Literatur findet", schreibt Reed im Wall Street Journal.

Tatsächlich stellt die Freundschaft zwischen dem weißen Rotzlöffel Huck und dem schwarzen Jim das Verbindende über das Trennende. Ihre Floßfahrt am Mississippi wird zur Metapher für den American Dream. Beide fliehen ihr Schicksal, beide erhoffen ein besseres Leben.

Twains Vorlage für Huckleberry Finn war ein Junge aus seinem Geburtsort Hannibal in Missouri: Tom Blankenship, Sohn eines brutalen Alkoholikers. Aus ihm formte Twain einen Prototyp des jugendlichen Revoluzzers. Der 14-jährige Huck entzieht sich seinem gewalttätigen Vater, er raucht, flucht und fladert, ist ein wilder Hund. Und das wird er bleiben - auch wenn er nicht mehr so spricht, wie er sprach.  (Karl Fluch, DER STANDARD - Printausgabe, 8./9. Jänner 2011)