Illustration für das neue Programm: Alfred Dorfer einst als Kind (etwa 1965 in Perchtoldsdorf) und jetzt.

Fotomontage: Robert Peres

STANDARD: Gäbe es noch die Ratesendung "Was bin ich?": Welcher Beruf wäre bei Ihnen inseriert?

Dorfer: Satiriker.

STANDARD: In Ihrer Diplomarbeit über "Totalitarismus und Kabarett" bezeichnen Sie sich als "Autor und Schauspieler". Ist Kabarett etwas Minderwertiges?

Dorfer: Nein, schon 1984 haben wir gesagt, wir wollen komödiantisch-satirisches Theater machen.

STANDARD: Und deshalb haben Sie sich mit Andrea Händler und Peter Wustinger "Schlabarett" genannt?

Dorfer: Mitunter muss man einen Titel bekanntgeben, bevor der Inhalt des Programms feststeht. So war es auch damals.

STANDARD: In Ihrer Diplomarbeit operierten Sie mit zwei Begriffen, die sich einer Definition entziehen.

Dorfer: Ich versuchte, Definitionen ausfindig zu machen. Aber die Politikwissenschafter tun sich schwer, Totalitarismus zu fassen. Und die Kabarett-Definitionen - die jüngste stammt aus den 1990er-Jahren - werden der Sache nicht gerecht.

STANDARD: Weil Sie selbst mit Ihrer Arbeit den Begriff aufgeweicht haben: Kabarett muss eben keine Nummernabfolge sein. Sie kommen daher zu einer eigenen Definition: Kabarett ist all das, was sich auf Kabarettbühnen ereignet. Ich folgere daraus, dass Ihr neues Programm "bisjetzt" nicht Kabarett ist. Denn Premiere ist am Montag im Akademietheater.

Dorfer: Ich glaube, dass Kabarett als Genre nicht existiert. Es wurde zu einem Sammelbegriff für mannigfaltige Formen. Auf der einen Seite gibt es Josef Hader, auf der anderen Werner Schneyder. Die beiden arbeiten stilistisch völlig anders. Missverständlich ist ja auch der Begriff politisches Kabarett. In Deutschland versteht man darunter: Ich mache Witze über die CDU. Man kann aber politisches, gesellschaftskritisches Kabarett machen, ohne auch nur einen Politikernamen zu erwähnen. Und für mich war Kabarett immer eine Theaterform. Der einzige Kabarettist, der mich geprägt hat, ist daher Helmut Qualtinger mit dem Herrn Karl.

STANDARD:: Sie vermeiden zwar das Schlagwort "Best of", dennoch ist "bisjetzt" ein Sammelsurium aus bis jetzt Entstandenem.

Dorfer: Es ist aber keine Aneinanderreihung der Lieblingssequenzen. Ich habe versucht, anhand meiner beiden Biografien - als satirischer Kommentator und als Darsteller - ein neues Stück zu basteln, auch wenn es zu 80 Prozent aus einer Werkschau besteht.

STANDARD: Warum wählten Sie das Akademietheater? Weil es ein Ort der Hochkultur ist?

Dorfer: Josef Hader und ich waren gezwungen, die klassischen Kabaretträume zu verlassen. Weil sie nicht mehr zur Verfügung standen oder zu klein wurden. Das Akademietheater wurde für mich ein Zuhause: Ich habe dort gut zwölf Mal fremd gespielt. Kabarett- und Theaterpublikum unterscheiden sich nicht wahnsinnig.

STANDARD: Sie schreiben im Auftrag von Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann eine Komödie. Wie weit sind Sie schon?

Dorfer: Ich fange demnächst zu schreiben an. Das Stück muss bis zum Sommer fertig sein. Es geht um ein Weltbild, unter das man die Welt ordnet, und die Auflösung dieser fixen Ideen. Denn die Wirklichkeit ist ja nur bis zu einem geringen Grad biegsam. Das Unmessbare messbar machen zu wollen ist ja unsinnig. Galilei wollte mit diesem Satz provozieren, seine Epigonen aber haben ihn wörtlich genommen. Und das ist die Hybris der Naturwissenschaft.

STANDARD: In Ihrer Diplomarbeit gehen Sie auch auf die Funktionen des Kabaretts im totalitären Staat ein. Die Satire gibt nicht nur Kontra, sie dient auch dem Machthaber. In einem Interview zogen Sie einen harten Vergleich: Ihre Sendung "Donnerstalk" sei das Feigenblatt für Offenheit im ORF gewesen.

Dorfer: In der Dissertation, die gerade von Hilde Haider gelesen wird, habe ich das Feld erweitert. Ich erkannte, dass die Funktion von Satire überall unterschiedlich war. Für die Futuristen war das Varieté und das Kabarett die höchste Kunstform. Es gab inhaltlich große Übereinstimmungen mit den Faschisten - und, abgesehen von persönlichen Animositäten, kaum Kontrapositionen. In der DDR vor dem Mauerbau hat man das Kabarett gefördert, um die kulturelle Abwanderung zu stoppen. Nach 1961 wurde es in eine Nische gedrängt. Und wenn man sich fragt, wie die Satire den Machthabern nützt, dann gibt es die Parallele zum ORF sehr wohl. In dem Sinn: Wir lassen ein Ventil zu, um damit Aggression zu verhindern.

STANDARD: Sie erwähnen, "dass dem Kabarett in restriktivem Umfeld automatisch der Mythos des Widerstands anhaftet und die Legendenbildung wuchert". Wären Sie lieber in einer Diktatur zum Helden geworden?

Dorfer: Wie dieser burmesische Kabarettist, der jetzt lebenslänglich eingesperrt ist? Nein, eigentlich nicht. Der wesentliche Unterschied zwischen Satire in restriktiven und nichtrestriktiven Systemen ist die Fallhöhe.

STANDARD: Aber es hat schon auch Genugtuung bedeutet, wenn man "Zensur!" schreien konnte.

Dorfer: Darum ging es mir nicht. Wir hatten einen hehren Anspruch: Wir wollten einen anderen Blickwinkel zeigen. Der war jetzt nicht primär links oder gegen Schwarz-Blau, aber parallel zur ZiB 2. Und das war das Neuralgische: weil es zwei Sichtweisen auf die gleichen Themen gab.

STANDARD: Sie waren nicht froh, dass es diese Kontroversen gab?

Dorfer: Als Satiriker schon, aber als Demokrat war ich fassungslos.

STANDARD: Warum haben Sie dann mit "Donnerstalk" aufgehört?

Dorfer: Ich habe mich gefragt, ob ich noch der Richtige bin: Ist man nach sieben Jahren nicht schon selbst Teil der Maschinerie? Mein Standpunkt war immer: Diese andere Sichtweise muss stattfinden - ungeachtet, wer die Sendung macht. Es werden, hoffe ich, nun andere Satireformate mit einem Pouvoir an Freiheit entstehen.

STANDARD: Weil Sie vorhin Ihre Dissertation erwähnten: Hat Ihnen der Magistertitel nicht gereicht?

Dorfer: Es geht mir nicht um den Titel. Mich interessiert der universitäre Bereich. Ich habe zum Beispiel für die Dissertation Bücher gelesen, die ich ansonsten nie gelesen hätte. Das ist übrigens auch ein Grund, warum ich eine Pause vom ORF mache: um mich auf das Philosophicum vorzubereiten.

STANDARD: Sie studierten Theaterwissenschaft. Hat Sie Grassers Behauptung, wir bräuchten keine Orchideenstudien, nicht geärgert?

Dorfer: Ja. Ich finde, dass Bildung unabhängig vom Utilitarismus sein sollte, sie sollte nicht dem Wirtschaftssystem untergeordnet sein. Natürlich: Die Universität ist dazu da, um Menschen in genügendem Maße auszubilden. In der Medizin ist das sehr sinnvoll: Ich bin sehr dafür, dass es genügend Zahnärzte gibt. Aber man darf den Gap nicht von Anfang an zumachen. Denn ich verhindere damit Chancen. Zugangsbeschränkungen schließen Menschen aus, die den Beruf doch können würden.

STANDARD: Wenn sie des Lesens mächtig wären ...

Dorfer: Das Ergebnis der Pisa-Studie ist eine Katastrophe, es tut weh - nicht aus Nationalgefühl, sondern weil eine Ressource für Gegenwart und Zukunft verspielt wird. Zudem fehlt der radikale Ansatz, um etwas zu verändern. Es gibt nur ideologische Machtkämpfe und Schlagwörter wie Gesamtschule, als ob die alles heilen könnte. Was natürlich nicht stimmt. Aber seit den 70er-Jahren wird das Ansehen des Lehrerberufs untergraben. Das muss rückgängig gemacht werden! Denn die Lehrer sind diejenigen, die die Knochenarbeit leisten. (Thomas Trenkler, DER STANDARD - Printausgabe, 8./9. Jänner 2011)