Foto: Sony Pictures

Wien - Es war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, da suchten Bühnenkünstlerinnen, vornehmlich aus der alten Welt, die US-Theater heim. Ihre Truppen trugen klingende Namen wie The British Blonde Burlesque Troupe oder High Rollers Extravaganza. Ihre komischen und musikalischen Darbietungen waren reizvoll und verstörend: nicht nur, weil die Damen manchmal Männerkleider oder wenig Kleidung trugen, sondern auch, weil ihre Shows großmäulig, laut und derbe waren.

Über Jahrzehnte veränderte sich das Genre. Eine Abzweigung nahm es in Richtung Striptease und Revue, eine andere führte zu Kino, Slapstick und frühen Stars wie der forschen Mae West. Irgendwann war die Attraktivität der Burlesque erschöpft. Seit bald zwanzig Jahren erlebt sie jedoch eine Renaissance. Im Zuge feministischer Aneignungen wurden auch die historischen Performerinnen, die Entkleidungskünstlerinnen und Pin-ups wieder entdeckt. Die Neo-Burlesque hat sich seither als Subkulturphänomen international etabliert und eine ganze Reihe selbstbewusster Stars hervorgebracht.

Kommerz-Burlesque

Was die parallel laufende Kommerzialisierung betrifft, so scheint deren Höhepunkt schon überschritten. Als wichtige Proponentin dieser Richtung kann US-Choreographin Robin Antin gelten: Sie gründete 1995 in Los Angeles die Pussycat Dolls, aus denen nach Umbesetzungen und Neuformatierung die gleichnamige Girlgroup hervorging. An diesem Geschäftsmodell orientiert man sich am besten, um eine Idee vom Burlesque-Begriff des Kinofilms Burlesque zu bekommen.

Antins Bruder Steve hat diesen inszeniert und geschrieben. Erzählt wird die alte Geschichte vom Landmädchen, das mit nichts als einem kleinen Koffer und riesigen Ambitionen Los Angeles erreicht. Ali - verkörpert von US-Popstern Christina Aguilera - stöckelt zunächst von einem Casting zum nächsten ein bisschen verloren über den Sunset Boulevard. Zufällig sieht sie in einer Seitengasse auf einer Feuertreppe ein Wesen wie aus einer anderen Welt.

Ali folgt der Unbekannten in ein kleines Theater. Auf der Bühne formieren sich junge, aufwändig zurechtgemachte Frauen in Ringelstrümpfen und Unterwäsche und eine schon etwas reifere Diva zu einer Shownummer. Ali verfällt der Burlesque sofort, ab nun geht es hauptsächlich darum, wie sie die Patronin und Theaterbesitzerin Tess (Cher) dazu bringt, ihr ebenfalls ein Engagement zu geben. Nebenbei gilt es, das Unternehmen vorm Konkurs zu bewahren - und eine Liebesgeschichte abzuwickeln.

Das alles gestaltet sich völlig überraschungslos. Die Besetzung ist hochkarätig (unter anderem wurden Stanley Tucci, Peter Gallagher und Kristen Bell verpflichtet), das Drehbuch jedoch denkbar uninspiriert. Die kurzatmige Inszenierung der Shownummern gewinnt diesen filmisch nichts ab. Spätestens wenn die aufstrebende Künstlerin auch noch ihre Gesangsstimme erhebt, fühlt man sich in ein überlanges Christina-Aguilera-Video samt entsprechender Textilknappheit und Gymnastik versetzt. Immerhin: Verstörend ist auch das. Aber mit Mathieu Amalrics Tournée wird der burleskere Film zur Burlesque bald kommen. (irr, DER STANDARD - Printausgabe, 8./9. Jänner 2011)