Mit Ungarn hat zu Neujahr ein Land den EU-Vorsitz übernommen, das soeben eines der wichtigsten Güter, die Medienfreiheit, außer Kraft gesetzt hat. Kritik anderer Regierungen, darunter sogar der österreichischen, wurde von Budapest mit Schweigen quittiert.

Ministerpräsident Viktor Orbán kann sich das leisten, weil Brüssel in Medienfragen generell weder mahnt noch eingreift. Die EU tut das bei Bedrohungen des wirtschaftlichen Wettbewerbs, nicht aber zugunsten einer ausreichenden Medienpluralität. Wenn die Medienfreiheit in Gefahr ist, passt man überhaupt.

Dabei hätte man seit Jahren Gelegenheit, am Beispiel Italien ein Prozedere zu entwickeln. Silvio Berlusconis Umgang mit der Rai, dem dortigen ORF, entspricht der Praxis Wladimir Putins. Aber weil Brüssel ihn schalten und walten lässt, breiten sich russische Zustände auch in Westeuropa aus: Medien an die Kandare.

Auch in Österreich gibt es immer wieder Versuche, neben dem Koalitionsunternehmen ORF sogar die Printmedien zu kontrollieren. Geplante Bestimmungen, die jenen des ungarischen Mediengesetzes (z. B. der Verfolgung von Journalisten) durchaus entsprochen hätten, wurden erst vor kurzem von der Justizministerin zu den Akten gelegt.

Dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte muss man zugutehalten, dass er bei Berufungen meistens Entscheidungen fällt, die das medienfeindliche Verhalten der österreichischen Justiz korrigieren.

Nur: Was in den ehemaligen Sowjetrepubliken gang und gäbe ist, eine politisch gleichgeschaltete Justiz, greift auch in der EU um sich. Berlusconi lässt immer wieder Gesetze beschließen, die den Gerichten gar keine Möglichkeit mehr geben, gegen Korruption vorzugehen. Sie können daher auch in den Zeitungen nur sehr reduziert zur Sprache kommen.

In Frankreich hat Staatspräsident Nicolas Sarkozy eine Reihe relevanter Zeitungen von befreundeten Unternehmern kaufen lassen, das Publikum delektiert sich ohnehin lieber an den Geschichten über Carla Bruni als an Skandalen (siehe Hypo Alpe Adria in Kärnten), die das Fassungsvermögen einfacher Bürger übersteigen.

Die Vasallenrepublik ist ein altes französisches Phänomen. Sie entspricht dem (privatisierten) österreichischen Proporz mit Resultaten wie Skylink.

Brandgefährlich aber ist, wenn eine wie in Ungarn vom Wahlvolk mit absoluter Mehrheit ausgestattete Politikerkaste beginnt, mit formal unangreifbaren Instrumenten die Gewaltenteilung auszuhebeln - die Höchstgerichte personell so zu besetzen, dass deren Urteile immer den Regierungswünschen entsprechen.

In Österreich schwärmen Spitzenmanager in Kamingesprächen von der Entschiedenheit der (gewählten) Machthaber in Singapur. Ihnen imponiert deren politische Entschiedenheit, sie erwähnen aber nicht, dass Parlament und Justiz nur formal unabhängig sind - und dass das Leben extrem reglementiert ist.

Jörg Haider hat es vor Jahren vorgemacht. Auch er wollte eine gelenkte oberste Gerichtsbarkeit - ihm gefügige Verfassungsrichter zum Beispiel. Eine FPÖ-Mehrheit bei den nächsten Wahlen könnte das wiederaufleben lassen. (Gerfried Sperl, DER STANDARD, Printausgabe, 3.1.2011)