Peter Pilz spricht sich gegen eine komplette Öffnung der Gemeindebauten für Migranten aus. Der grüne Sicherheitssprecher fordert mehr Polizisten, die auch dezentraler agieren können

Foto: Cremer

STANDARD: Thilo Sarrazin ist es mit seinem Buch über Ausländer, laut Innenministerin Maria Fekter, "gelungen, dass eine offene und ehrliche Debatte in Gang gekommen ist". Reden jetzt auch Grüne über Ausländer und Kriminalität?

Pilz: Wir müssen darüber reden. Es ist ja kein Geheimnis, dass es in den vergangenen 20 Jahren zwei signifikante Anstiege bei Ausländerkriminalität gab: Der eine war anlässlich des Mauerfalls, der zweite, als Schwarz-Blau die Regierungsgeschäfte übernahm und gleich die Wiener Kriminalpolizei zerschlug. Die roten Kriminalbeamten wurden hinausgedrängt und durch schwarze Zollwache-Beamte ersetzt. Dann eine vollkommen misslungene Polizeireform - damit hat man die Kriminalpolizei ruiniert. Die Aufklärungsquoten sanken von einem Drittel auf unter zehn Prozent.

STANDARD: Sie bestreiten also, dass es mehr Kriminelle gibt? Es gibt nur weniger Aufklärung?

Pilz: Das bestreite ich ganz und gar nicht. Die Zunahme der Kriminalität hat ja unmittelbar mit der mangelnden Aufklärung von Verbrechen zu tun. In Berlin gibt es bei Einbruchsdiebstahl eine Aufklärungsquote von elf Prozent, in München von 15 Prozent und vier Prozent in Wien. Was glauben Sie, wohin der moldawische Banden-Chef seine Leute schickt? So etwas spricht sich in Moldawien, Georgien oder Serbien doch herum, dass ihnen hier nichts passiert. Maria Fekter ist zur heiligen Maria der Einbrecher geworden.

STANDARD:  Sie übertreiben.

Pilz: Überhaupt nicht. Verzweifelte Menschen wenden sich an mich: Ein Ehepaar, das im Norden von Wien Einbrecher in seinem Haus überraschte - die Polizei hat die aus Überforderung entkommen lassen. Ich rede viel mit Polizisten, die sagen, sie schaffen das nicht mehr. Und speziell Wiener Kriminalbeamte fühlen sich vom Ministerium und von der politischen Führung im Stich gelassen.

STANDARD: Wie könnte man die Moral der Truppe wieder heben?

Pilz: 300 Stellen allein bei der Kripo sind verloren gegangen - die müssen dringend aufgefüllt werden. Die Über-Zentralisierung der Polizei muss zurückgenommen werden. Wir brauchen dezentral agierende, lokal verankerte Kriminalbeamte. Und die Politik muss raus aus der Polizei. Jeder politisierende Führungsoffizier, wie Landespolizeikommandant Karl Mahrer in Wien, ist Gift für die Polizei.

STANDARD: Wollen Sie behaupten, dass es das unter roten Innenministern nicht gab?

Pilz: Es war insofern anders, als sich über Jahrzehnte trotz der Parteibuchwirtschaft eine funktionierende Kriminalpolizei entwickelt hat, weil die Moral der Polizisten langfristig stärker war als das Parteibuch. Auch unter den Schwarzen wird sich das System in 20 Jahren erholen - aber wer will mit der Bekämpfung der organisierten Kriminalität 20 Jahre warten? Dazu kommt noch, dass der Wiener Landespolizeikommandant und der Cobra-Chef Schlüsselpersonen in der Vertuschung der Kampusch-Affäre waren. Was soll ein kleiner Kriminalpolizist denken, wenn bei großen Fällen die Sicherheit eines Opfers weniger wert ist als die Sicherheit der ÖVP? Der Fall Kampusch war verheerend für die Polizei.

STANDARD: In Europa, etwa der Schweiz, gibt es Vorstöße, straffällige Ausländer sofort nach einer Verurteilung außer Landes zu bringen. Zu Recht?

Pilz: Zu Unrecht. Was ist schlimm für einen Gewohnheitsverbrecher, wenn er sofort abgeschoben wird? Er kommt einfach wieder. Der gehört weiterhin in Österreich vor Gericht gestellt und soll hier seine Strafe absitzen - und dann soll er abgeschoben werden. Dafür kann man all jene wieder enthaften, die wegen Bagatelldelikten sitzen. Überall sind es die rechten Populisten, die Politik dahin lenken, dass solche falschen Entscheidungen getroffen werden und die am weitesten den Mund aufreißen und selbst das Gegenteil tun. Nehmen sie die FPÖ: Die war neben der ÖVP die schlimmste Parteibuchwirtschafts-Partei. Ich hoffe sehr, dass die Ausländerkriminalitätsrate nicht die durchschnittliche Kriminalitätsrate in der FPÖ erreicht. Dann hätten wir ein ernstes Problem.

STANDARD: Was meinen Sie damit?

Pilz: Es gibt keine andere Partei im Nationalrat mit einer derartigen Kriminalitätsdichte. Die FPÖ soll einmal ihr eigenes Verhältnis zu irakischen Waffenschiebern, Staatsbürgerschaftshändlern, russischen Oligarchen und kroatischen Mafiosi klären. Es waren Freiheitliche, die versucht haben, einem verurteilten irakischen Waffenschieber die Staatsbürgerschaft zu verschaffen. Es waren FPÖler, die versucht haben, russischen Oligarchen Staatsbürgerschaften zu verkaufen. Und diese Leute betreiben Sicherheitspopulismus. Das ist absurd. Aber ich sage Ihnen, warum das große politische Verbrechen in Österreich nicht bekämpft wird.

STANDARD: Sagen Sie's mir.

Pilz: Weil die politische Spitze das nicht will. Staatsanwälte in Italien haben jede Menge Material über die Verwicklung österreichischer Banken in mafiöse Geschäfte. Mindestens vier Milliarden Euro werden von der N'drangheta in Wien und in Klagenfurt gebunkert. Das wissen die Behörden, bis hinauf zur Ministerin. Österreich ist eine der beliebtesten Geldwäschereien in Europa. Aber da gibt es offenbar so viel Druck der Banken auf die Politik, dass nichts gemacht wird. Was ist der Erfolg? Die russische Mafia macht sich bei uns breit. Kitzbühel wird bald Kitzograd heißen. Polizisten werden angehalten, kleine Fische mit aller Härte zu jagen und große möglichst zu umschiffen.

STANDARD: Soll die Polizei etwa aufhören, die kleinen Fische zu jagen?

Pilz: Das meine ich nicht. Man muss auch hinter die Kulissen blicken. Das organisierte Glücksspiel hat sich die Liberalisierung des Glücksspielgesetzes gekauft. Und das, obwohl es mittlerweile mehr Beschaffungskriminalität wegen Spielsucht als wegen Drogensucht gibt. Es ist möglich, dass ein Jugendlicher mit Migrationshintergrund, ohne Ausbildung, ohne Job, in einer Sekunde 10 Euro am Spielautomaten einsetzt, 36.000 Euro pro Stunde. Und dann wundert man sich, dass rund um Spielhallen die Kriminalität steigt?

STANDARD: Nun sind die Grünen seit kurzem in Wiens Stadtregierung. Welche Politik erwarten Sie?

Pilz: In erster Linie Bildungspolitik und Integration. Es ist der helle Wahnsinn, wenn Jugendliche mit Migrationshintergrund ghettoisiert und stigmatisiert werden. Wer heute noch darauf besteht, dass es in Städten Hauptschulen geben muss, wie es die ÖVP tut, der betreibt Unsicherheitspolitik. In Wahrheit muss man die Lehrerschaft noch mehr aufstocken als die Kriminalpolizei.

STANDARD: Sind Sie für die komplette Öffnung der Gemeindebauten für Migranten?

Pilz: Mit Sicherheit nicht.

STANDARD: Da spricht der Gemeindebau-Bewohner.

Pilz: Genau der. Die Öffnung funktioniert ja längst, ich kann es auf meiner Stiege täglich sehen. Ein Drittel der Bewohner hat Migrationshintergrund, und es funktioniert prachtvoll - weil das Verhältnis stimmt. So lange es bei dieser Mischung bleibt, ist alles okay. Wenn man das verändert, wird der Gemeindebau zum Ghetto. Am Ende des Integrationsprozesses steht nicht Klein-Istanbul, sondern eine weitgehende Assimilation der Einwanderer.

STANDARD: Sehen das Ihre Grünen-Kollegen auch so?

Pilz: Das weiß ich nicht. Aber das Ziel ist doch, dass Einwanderer Wiener und Wienerinnen werden. Wenn sie ihre Herkunftssprachen behalten, ist das eine Bereicherung. Aber ihre Leitsprache muss Deutsch sein.

STANDARD: Integration führt also zu Assimilation.

Pilz: Im Grunde ja - mit sprachlicher und kultureller Vielfalt. Was ist denn mit den so genannten Ziegel-Böhm passiert? Nach zwei Generationen hat man sie als die typischen Wiener wahrgenommen, und sie haben die kulturelle Vielfalt weiter bereichert. Integration muss genau so funktionieren. (DER STANDARD Printausgabe, 3.1.2011)

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