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Ein Hollywood-Star in "Pauliwood": Danny Glover in der brasilianischen Produktion "Blindless", einem Werk aus der neuen brasilianischen Film-metropole Paulínia.

Foto: AP

"Lasst uns ein zweites Hollywood bauen", rief der Bürgermeister der brasilianischen Stadt Paulínias vor knapp einem Jahrzehnt aus. Heute ist Traum von einer südamerikanischen Filmmetropole in Paulínia zum Greifen nah: Die Stadt entwickelte sich in rasantem Tempo zur größten Filmproduktionsstätte Brasiliens.

Am Anfang der Erfolgsgeschichte stand der Ehrgeiz von Paulínias Bürgermeister, Edson Moura. Er erträumte eine neue Rolle für seine kleine, beschauliche Gemeinde. Ein kühnes Vorhaben, das dennoch rasch Wirklichkeit wurde. Binnen weniger Jahre gelang es der Stadtregierung, ein Eldorado für Filmproduzenten aus dem Boden zu stampfen.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Seit 2007 wurden 39 Kinofilme produziert, unten ihnen Blindless von Starregisseur Fernando Meirelles und Budapest, inszeniert von Walter Carvalho. Ein Drittel aller brasilianischen Spielfilme wird schon jetzt in Paulínia gedreht - weitere sollen folgen.

Zauberformel: Geld

"Wie konnte dieser Aufstieg möglich werden?", fragte kürzlich die nationale Wochenzeitung Istoé in ihrer Titelgeschichte. Die lakonische Antwort: "Geld." Paulínia sitzt auf den größten Ölreserven des Landes - Einnahmen und Erträge sprudeln. Das Haushaltsvolumen der Kommune beläuft sich auf 750 Millionen Reais (330 Millionen Euro). Die Stadt weist das siebthöchste Pro-Kopf-Einkommen des Landes aus. Durch das Wachstum steigt auch der Bedarf an Fachkräften.

Handwerker werden ebenso gesucht wie hoch qualifizierte Ingenieure - und sie kommen aus allen Teilen des Landes. Und das schlägt sich in der Bevölkerungsstatistik nieder: Während Paulínia 1980 noch 20000 Einwohner zählte, sind es heute über 80.000.

Die Stadt ist ein Vorbild für die Entwicklung des Landes. Brasiliens ehemaliger Staatspräsident Lula da Silva stand höchstpersönlich Pate, als 2009 eine der größten Raffinerien Lateinamerikas eröffnet wurde. 300 000 Tonnen Öl werden dort jährlich verarbeitet - ein Segen für die Staatskasse. Nur mit Geld lockt man noch keine Filmproduzenten an - es braucht einen gewissen Promi-Faktor.

Dessen war sich Moura stets bewusst. Also überzeugte er den Gemeinderat, ein nationales Filmfestival aus der Taufe zu heben. Mit dem Einzug der Hautevolee soll die Stadt in die Glitzerliga internationaler Filmmetropolen aufsteigen.

Neue Filmfestspiele

Der Plan ging auf. Die Stadtregierung schaffte es in kurzer Zeit, eines der renommiertesten Filmfestspiele Lateinamerikas auf die Beine zu stellen. Jeden Sommer gibt sich die Prominenz des Kontinents ein Stelldichein: Roter Teppich, bunte Gewänder, Blitzlichtgewitter - Szenen wie in Cannes oder Venedig.

Auch Moura sonnt sich in diesem Glanz. Sein Nachfolger, José Pavan Júnior, ist zwar weniger schillernd - er setzt die Politik dennoch fort und fördert das Spektakel mit einer stattlichen Subvention aus dem Haushalt: Rund 20 Millionen Reais (etwa 8,8 Millionen Euro) stellte er 2010 für Filmprojekte zur Verfügung.

Die Investition ist eine gelungene Eigenwerbung für die Stadt - und eine Chance für ihre Bewohner. Die Produktionen beschäftigen bisweilen über 250 Leute. Dazu gehört Cristiane Façanha.

Die 29-Jährige Journalistin verließ für das Engagement als Nebendarstellerin ihren Job als Zeitungsredakteurin - dem Angebot konnte sie nicht widerstehen. Denn: Die Gagen sind im Vergleich zu normalen Gehältern äußerst üppig. Erfahrene Schauspieler wie Selton Mello kassieren pro Tag fünfstellige Honorare. "Wir nennen uns manchmal Pauliwood", sagt der Publikumsliebling in Anspielung auf die weltgrößte Filmproduktion in den USA.

In Paulínia ist man zwar noch nicht so weit. Die Entwicklung macht dennoch stetig Fortschritte. Mittlerweile gibt es eine eigene Schauspielschule, ein modernes Produktionszentrum sowie ein Staatstheater, das vom renommierten Architekten Ismael Solér entworfen wurde.

Atmosphäre der Offenheit

Der Aufstieg der Stadt markiert in jeder Hinsicht eine Zäsur. "Es gibt eine Ära vor und nach Paulínia", sagt der Regisseur Paulo José. Bei den Dreharbeiten zum Film O Palhaco kam er zum ersten Mal in Kontakt mit der Stadt - und war sofort begeistert. Die Atmosphäre, die Offenheit der Menschen haben es ihm angetan.

Gleichwohl könnte der Traum vom brasilianischen Hollywood ein jähes Ende finden. Der Grund: Das Gebaren der politischen Elite liefert selbst den Stoff für einen Kinofilm. Gegen das ehemalige Stadtoberhaupt Moura läuft ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Korruption. Der amtierende Bürgermeister Júnior legte letztes Jahr sein Amt nieder, um es wenige Monate später wieder aufzunehmen. Und dem ermittelnden Staatsanwalt wird zur Last gelegt, Steuern hinterzogen zu haben. Die ständigen Querelen schaffen ein ungünstiges Investitionsklima - und schrecken Filmproduzenten ab.

Sorgen die Verantwortlichen nicht bald für Aufklärung, könnte aus dem Traum von Pauliwood schnell ein zweites Vera Cruz werden: jene Filmgesellschaft öffnete 1949 in Bernardo do Campo im Bundesstaat São Paulo ihre Pforten - und wurde vier Jahre später wieder eingestellt.  (Adrian Lobe aus Paulínia/ DER STANDARD, Printausgabe, 30.12.2010)