Kunstblicke auf Lenin (in seinem Mausoleum).

Foto: Knoll/Swarovski

Wien - In der Welt der Blue Noses Group ist Indiana Jones ein Brustgrapscher, der sich sogar an einer Mumie vergreift. Auf allen Vieren robbt er sich an die Eingewickelte heran, die für diese Annäherung mit Würgegriffen dankt. Auch Lenin ist nicht wirklich tot. In einem anderen Video der 1999 begründeten russischen Künstlergruppe (Wjatscheslaw Misin aus Nowosibirsk, Alexander Schaburow aus Jekaterinburg) liefert er sich ein Boxduell mit Stalin. Nebenan köpfen sich die Gottheiten Shiva und Ganesha; King Kong vergreift sich an der weißen Frau.

Dass diese slapstickhaften Videos, die Figuren aus Politik und Massenkultur von ihren Sockeln reißen und zu Witzfiguren degradieren, in Österreich gezeigt werden, ist erstaunlich. Denn 2007 hatte der russische Zoll Arbeiten beschlagnahmt, die in Dresden präsentiert werden sollten: darunter ein Bild, das Präsident Putin, Dichter Puschkin und Christus als Trias zeigt. Wenig später zensierte der damalige Kulturminister Alexander Sokolow 70 Arbeiten auf dem Weg zur Pariser Schau "SozArt. Politische Kunst aus Russland seit 1972". Sokolows Kommentar zum Foto, das zwei sich küssende Milizionäre zeigt: "Schande für Russland".

Bei Verunglimpfung vaterländischer und christlicher Werte kennt man in Russland kein Pardon. Marat Guelman, einstiger Politstratege und nun wichtigster Moskauer Galerist, bekam seine Vorliebe für kritische Positionen mit einem Überfall und einer gebrochenen Nase quittiert. In Russland könne man mit Arbeiten über Religion und Sexualität immer noch provozieren, stellt Galeristin Natascha Achmerowa, deren Barbarian Art Gallery ihre Hauptfiliale nun in Zürich unterhält, fest. "Russische Kunst arbeite stark an Symptomen der Gesellschaft, die unter der massenmedialen Oberfläche schwer zu erkennen sind, so Achmerowa. Und: "Ironie ist für mich eine wichtige Komponente".

Spott gegen Konformismus

Der Tabubruch der Performance-Videohappen wirkt in der Galerie Knoll doppelt schwer: Denn dort werden sie in funkelnden Architekturmodellen aus Kristall präsentiert (In Kooperation mit Swarovski in Wattens produziert, wo ein zweites Set zu sehen ist.) - etwa ein Lenin-Mausoleum und das Taj Mahal. Hohn und Spott im Glitzerkleid statt konforme, geradezu akademische Kunst. Denn 1999, am Ende der Jelzin-Ära setze auch eine kritiklose, akademische Richtung ein; Blue Nose nutzen Parodie und Humor als Mittel der Distanzierung.

Subtiler freilich die Vertreter des sowjetischen Kunstuntergrunds der 1970er und 1980er, der sogenannten Soz-Art. Sie nutzten politische Symbole, um die Propaganda ins Lächerliche zu ziehen. Einer ihrer Meister ist Boris Orlow (geb. 1941), dessen eher konzeptuell formulierte Kritik Kunststile und Sinnbilder zitiert und gleichzeitig persifliert.

Orlows Dekonstruktionen des Heldenmythos, seine Beschäftigung mit imperialen Mythen platziert er inmitten einer Sammlung, die ein Hohelied auf vergangene Imperien singt: in der Antikensammlung des Kunsthistorischen Museums. Inmitten griechischer Vasen, römischer Büsten, Goldmünzen und bronzenen Rüstzeugs sind sie perfekt inszeniert. Orlows Parcours der Helden (in Kooperation mit der Stella Art Foundation) führt vorbei an mit Orden überdekorierten Büsten, an verweiblichten Kampfbombern, die mit stolz geschwellter Brust Richtung Sieg donnern oder auch an der Figur Julius Caesars, dem er ein Matrosenkostüm verpasst.

Alles dekoriert der Künstler mit Heldenschärpen und farbigen Rangabzeichen, die an Gegenständliches rückgebunden sind. Gleichzeitig sind die Farbfolgen auch abstrakt zu sehen und erinnern an den Suprematismus, der die politische Revolution in Russland bis 1921 begleitete. In der dann folgenden Politik hatte das Gegenstandslose keine Berechtigung mehr, wurde vom Sozialistischen Realismus abgelöst. Orlows Ziel, "ein Reich als absolute Verkörperung des alles umfassenden Willens darzustellen, der Aufgeblasenheit, des hypertrophierten höfischen Prunkes" ist gelungen! (Anne Katrin Feßler/DER STANDARD, Printausgabe, 29. 12. 2010)