Michelangelos Zeichnung "Der auferstandene Christus" (um 1532) ist vermutlich auch ein Blatt für Sebastiano del Piombo. Dessen Auftrag für ein Altarbild in der Cesi-Kapelle in Santa Maria della Pace in Rom wurde aber nie ausgeführt.

Foto: Windsor Castle/The Royal Collection

Am 21. Dezember 1508 kaufte Michelangelo eine Schere. An und für sich ein Detail, das kaum eine Anekdote wert ist; interessant ist dennoch, wo der Meister seine Einkäufe notiert hat. Den Scherenkauf etwa auf dem Revers einer Federzeichnung, einem Rückenakt, den die Casa Buonarotti in Florenz verwahrt.

Beispiel für die Papierökonomie eines Renaissancemeisters, dessen teils über 500 Jahre alten Figurenstudien in Tusche, Rötel und Kreide bereits bis kurz vor Weihnachten 277.000 Besucher in die Albertina gelockt haben. Und die 300.000 Grenze wird sicher auch noch überschritten. Schließlich bekommen Normalsterbliche eine derart exklusive Zusammenstellung von Arbeiten des Michelangelo di Lodovico Buonarroti Simoni (1475-1564) sicherlich nur einmal im Leben zu Gesicht.

Wie sparsam der Florentiner mit dem Papier umging, sieht man in der Ausstellung auch auf dem sehr prominenten Studienblatt für die "Libysche Sibylle" der Sixtinischen Kapelle. Die Rötelzeichnung aus dem Metropolitan Museum zeigt, wie er sich Schritt für Schritt Klarheit verschafft hat: über den abgestützten großen Zeh oder die das schwere Buch tragenden Hände.

Was nicht von Belang ist, wurde in wenigen Strichen skizziert oder gar völlig ausgelassen. Anderes, wie der Schulterbereich der verdrehten Figur, wurde sorgfältig ausmodelliert. Ja sogar den später vom Gewand überdeckten Teil analysierte Michelangelo Strich für Strich. Akribisch verschaffte er sich Gewissheit über Bereiche, über Muskeln und Rippen über die er später Textil "fließen" ließ, denn auch beim Zeichnen agierte Michelangelo so körperlich dreidimensional wie ein Bildhauer.

Erkennbare Korrekturen

"Er klärt alles 150 prozentig", sagt Kurator Achim Gnann über Michelangelo. Der Spezialist für italienische Zeichnung ist der Meinung man sei dem Künstler in seinen vorbereitenden Zeichnungen sogar näher als im ausgeführten Werk. Der Strich ist unmittelbar, lässt seine Korrekturen erkennen: die "Pentimenti", wie man diese Linien der "Reue" auch nennt. Beim berühmten Karton "Madonna mit Kind" (um 1522-25), zeigt sich, wie er Kompositionen während des Zeichnens entwickelte. Zarte Striche deuten eine andere Blickrichtung der melancholischen Madonna an; ein Beinchen des Knaben lag zunächst über dem Arm der Mutter. Und bei der "Beweinung Christi", einem Albertina-Blatt (um 1531-34), war der Kopf des Gekreuzigten ursprünglich weniger herabgesunken angelegt.

In der Ausstellung lässt sich aber auch ein anderer interessanter Aspekt in den Zeichnungen des Genies erkennen. Gnann lenkt den Blick auf die Zeichnungen, die Michelangelo für andere geschaffen hat: Für Sebastiano del Piombo, Marcello Venusti, Daniele da Volterra oder auch Tommaso de' Cavalieri, seinen geheimen Liebhaber.

Die antikisch-mythologischen Zeichnungen für letzteren, darunter "der Raub des Ganymed", den vom Göttervater entführten Jüngling oder "die Bestrafung des Tityos", waren ebenso wie die "teste divine" (göttlichen Köpfe) Geschenkzeichnungen. Es handelt sich also um eigenständige Werke, die bis ins Detail ausgearbeitet sind. Am Neujahrstag 1533 bedankte sich der kaum 18-jährige Tommaso: Täglich mindestens zwei Stunden betrachte er sie mit großem Vergnügen.

Bemerkenswert ist die Rückseite des Tityos-Blattes: Die dahingestreckte Figur des illegitimen Zeus-Sohns mit angewinkelten Arm und Bein pauste er ab und entwickelte daraus um 90 grad gedreht die aufrechte, tiumphierende Figur des auferstandenen Christus.

Penibel durchgezeichnet

Völlig anders hingegen die Zeichnungen für del Piombo, den man fast als Verbündeten Michelangelos bezeichnen könnte. Denn um 1511 begann der gut vernetzte Raffael aus Urbino die gesamte künstlerische Tätigkeit in Rom zu dominieren. Und so beschlossen die Freunde - Michelangelo bewunderte die Farbgebung des Venezianers Sebastiano, dieser reichte jedoch in den kompositorischen Fähigkeiten nicht an den des Kollegen heran - sich zusammen zu tun.

Einige Auftraggeber machten ihre Order sogar davon abhängig, dass Michelangelo die Entwürfe für del Piombos Gemälde beisteuert. Eine der frühesten Beispiele dieses Bündnis ist etwa die "Geißelung Christi" (1516) aus dem British Museum. Der Freund nutzte sie für sein Wandgemälde in der römische Kirche San Pietro in Montorio. Viele Jahre später, 1533/34, lieferte Michelangelo Studien für dessen Pietà, die sich heute als Leihabe im Prado in Madrid befindet.

Wieder anders jene für Venusti und Volterra angefertigten Zeichnungen. Während er jene für Volterra im groben Skizzenstatus beließ, sind die für den anderen Schützling gedachten Blätter ganz penibel durchgezeichnet. Womit hatte dies zu tun? Hat er dem einen mehr zugetraut als dem anderen? Hatte dieser mehr Mitspracherecht bei der Komposition?

Und so kann, während die Bilder bald wieder für lange Zeit in dunklen Archiven schlafen, die Michelangelo-Forschung weitere Kapitel aufschlagen. (Anne Katrin Feßler / DER STANDARD, Printausgabe, 28.12.2010)