Einem deutschen Forscherteam ist es gelungen, eine Hypothese über die Signal-Übertragung zwischen Nervenzellen zu widerlegen. Bisher glaubte man, dass bei der Grundaktivität von Nervenzellen und bei der Freisetzung von Neurotransmittern nach elektrischer Erregung zwei ganz unterschiedliche Arten von Vesikeln beteiligt sind. Wissenschafter der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) haben nun Neuronen genauer unter die Lupe - oder präziser: unter das Fluoreszenz-Mikroskop - genommen und festgestellt: es handelt sich um ein und den selben Vorgang.

Ob vom Auge, von den Fingerspitzen oder über das Ohr: Reize, die unser Körper aufnimmt, werden als Erregungen über Nervenzellen an unser Gehirn übermittelt. In der Regel durchläuft die Erregung dabei viele hintereinanderliegende Neuronen. Von Nervenzelle zu Nervenzelle - und auf umgekehrtem Wege letztlich auch von Nervenzelle zu Muskelfaser - wird die Erregung zumeist chemisch über spezielle Botenstoffe, die Neurotransmitter, weitergegeben.

Komlexer Vesikel-Kreislauf

Eine Schlüsselrolle dabei spielen die synaptischen Vesikel, kleine Bläschen, in denen die Neurotransmitter zunächst gespeichert sind. Auf ein Signal des Neurons verschmelzen die Vesikel mit der äußeren Membran des Neurons: die Neurotransmitter werden freigesetzt. Dieser Vorgang wird als Exocytose bezeichnet, die freigesetzten Botenstoffe werden anschließend von der nächsten Nervenzelle aufgenommen. Umgekehrt werden die molekularen Komponenten der Vesikel in der Endozytose wieder rückgeführt, es bilden sich also neue Vesikel mit den alten Botenstoffen.

Der Medizin-Nobelpreisträger Bernhard Katz hat bereits vor rund 60 Jahren beobachtet, dass auch ohne Erregung ständig chemische Impulse von Nervenzellen zu Muskelfasern übertragen werden. Auch im menschlichen Gehirn ist eine solche Grundaktivität zu beobachten. Forscher versuchen seit Längerem herauszufinden, welche Funktion diese spontane Freisetzung von Neurotransmittern im physiologischen Kontext hat. Vielfach wurde in der Wissenschaft spekuliert, dass die spontane Freisetzung von Neurotransmittern anders funktioniert als die Freisetzung von Neurotransmittern nach elektrischer Erregung - und dass daran gar zwei ganz unterschiedliche Arten von Vesikeln beteiligt sind.

Keine eigene Population

Das Team um den Biophysiker Jürgen Klingauf konnte diese Hypothese nun widerlegen. Die Forscher markierten dafür an isolierten Nervenzellen des Hippocampus - einem Teil des Gehirns - molekulare Komponenten von Vesikeln mit fluoreszierenden Farbstoffen. Unter dem Fluoreszenz-Mikroskop zeigte sich: Unabhängig davon, ob die Komponenten nach elektrischer Reizung der Nervenzelle oder während einer Phase spontaner Aktivität aufgenommen worden waren, nahmen sie nach anschließender elektrischer Reizung der Nervenzelle in gleichem Maße am Zyklus von Exocytose und Endozytose teil.

Vesikel, die spontan gebildet werden, stellen offenbar keine separate Population dar, die durch elektrische Stimulation nicht mobilisiert werden könnte. "Damit bestätigt sich, was Katz schon vor rund 60 Jahren ahnte", erläutert Klingauf: "Die spontane Vesikel-Verschmelzung an Synapsen ist als Grundereignis zu verstehen, das in multipler und synchronisierter Form auch für die Signalübertragung nach elektrischer Erregung verantwortlich ist." Die Ergebnisse der Forschung sind in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Nature Neuroscience veröffentlicht. (red)