Zu Weihnachten darf man sich etwas wünschen. Der amerikanische Architekt und Künstler Paul Laffoley wünscht sich eine Welt aus wuchernden Pflanzen. Ein Porträt.

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Das erste Wort, das Paul Laffoley herausbrachte, war "Konstantinopel". Das war mit acht Monaten. Danach schwieg er bis zu seinem vierten Lebensjahr. "Ich war ein recht ungewöhnliches Kind", sagt der heute 70-jährige Künstler und Architekt. "Meine Mutter brachte mich ins Labor nach Harvard, um herauszufinden, ob mit mir alles stimmen würde. Die Wissenschafter meinten damals, sie seien sich nicht sicher, aber es deute alles auf Asperger-Syndrom hin."

Laffoley, der heute in South Boston lebt, studierte an der Brown University in Providence, Rhode Island, und machte den Abschluss in klassischer Geschichte, Kunstgeschichte und Philosophie. Von der Harvard Graduate School of Design, wo er danach sein Glück versuchte, wurde er nach einigen Monaten des Architekturstudiums hochkant hinausgeworfen.

Foto: Wojciech Czaja

"Die wollten, dass ich ein stinknormales Haus entwerfe. Ich habe daraufhin vorgeschlagen, ein Gebäude aus Pflanzen zu planen. Das ist doch viel praktischer! Dann kann es von alleine weiterwachsen, und man braucht sich um nichts mehr zu kümmern. Jedenfalls bin ich stur geblieben. Die Professoren leider auch. Das war's mit meiner Ausbildung in Sachen Architektur."

Von seinen unzähligen ambitionierten Karriereversuchen hielt ihn der Rausschmiss aus Harvard jedoch nicht ab. 1963 begann Laffoley, im New Yorker Atelier von Friedrich Kiesler zu arbeiten. Bis spät in die Abendstunden hingen die beiden über Entwürfen und Modellen für die Environmental Sculptures und versuchten, dem Endless House den letzten Schliff zu geben. Die Zusammenarbeit hielt nicht lange. "Eines Tages kam Kiesler zu mir und sagte: Ich mag dich, aber ich halte die Diskussionen mit dir nicht mehr aus. Entweder du gehst, oder ich bring dich um!"

Laffoley übersiedelte ins Planungsteam für das World Trade Center 2. Er kritzelte die Pläne für die Stockwerke 15 bis 45. Nachdem er dem Chefarchitekten Minoru Yamasaki vorgeschlagen hatte, die beiden Türme aus Sicherheitsgründen mittels Brücken miteinander zu verbinden, flog er auch hier raus.

Foto: P.Laffoley / M . Cartin

In seinem Loft in einem alten, sanierten Lagerhaus am Boston Channel stapeln sich Schallplatten, CDs und DVDs, Bücher noch und nöcher. Von den mal knallig bunten, mal schwarz-weißen Riesenzeichnungen und Leinwänden ist kaum etwas zu sehen. Dicht gedrängt stehen sie an die Wand gelehnt, überhäuft von Zeitungsausschnitten, Malutensilien und schwarzen Klamotten, von Hemden, Hosen, Socken und Sakkos. "Alles Schmutzwäsche. Ich komme halt kaum zum Waschen."

Zielstrebig geht Laffoley zu einem seiner fünf Schreibtische, die quer über das schmale und ewig lange Atelier verstreut sind, eingepfercht zwischen abenteuerlichen Holzkonstruktionen, auf denen Dutzende von Schreibtischleuchten wie glühende, außerirdische Köpfe in alle Richtungen weisen, und zieht daraus einen dicken Lederband, gefüllt mit hunderten Tuschezeichnungen seiner jahrelangen, vegetabilen Träume.

Foto: Wojciech Czaja

"Nachdem ich schon in Harvard nicht dazu gekommen bin, grüne Architektur zu machen, habe ich mich mit dem Thema im Nachhinein dafür umso intensiver auseinandergesetzt", sagt der glatzköpfige Brillenträger etwas trotzig und präsentiert seine Entwürfe für das sogenannte Urpflanzen-Haus.

Es ist ein wildes, lebendes Ungetüm aus Bäumen und Stauden, aus Kiefern, Zypressen und Bambusrohr, aus Weinreben, Efeu und Spinat. Durch die große Vielfalt an Pflanzenarten beuge man Umwelteinflüssen und etwaigen Krankheiten vor. "Wichtig ist in jedem Fall, dass man spezielle Monstersamen sät, die möglichst schnell austreiben und wachsen", erklärt der Architekt. "Man legt die Samen einfach nur auf die Insel, und das Haus wächst dann ganz von alleine. Das ist mein Plan."

Foto: P.Laffoley / M . Cartin

Fotosynthese statt Beton

Während die statische Grundkonstruktion aus Bambus und Baumstämmen aufgebaut ist, besteht die Fassade aus Blättern und Gräsern. Die Fenster sind mit Butyiat, einem organischen, durchsichtigen Kunststoff gefüllt. "Die Konstruktion wird zwar sehr dicht zuwachsen, aber nicht ganz dicht. Es ist wichtig, dass immer noch Vögel durchfliegen können, wenn sie das möchten."

Auf einer vorgelagerten Mini-Insel befinden sich Bootsanlegestelle und Portal. Durch einen hunderte Meter langen, spiralförmigen Gang nähert man sich der eigentlichen Wohnzelle. Der lange Weg hinauf ist durchaus nützlich: An seinen Rändern gedeihen Obst und Gemüse, das - sobald es einmal gepflückt ist - in kürzester Zeit wieder nachwachsen kann. "Man kann beim Nachhausegehen nebenbei satt werden. Das ist doch praktisch!"

Foto: P.Laffoley / M . Cartin

Auch für künstliche Beleuchtung und Energieerzeugung sind bereits alle mentalen Vorkehrungen getroffen. Den Strom liefert - wie könnte es anders sein - der Spinat. Die Stromspannung in einem Spinatgewächs betrage rund zehn Volt, sagt Laffoley. Deswegen sei auch Popeye immer so groß und stark gewesen.

Das Licht kommt von Tabakpflanzen und Schwefelholz. Derart miteinander kombiniert ergebe das eine Leistung von rund fünf Watt. Zwanzig Pflanzen in einer Reihe, und schon könne man eine 100-Watt-Glühbirne zum Leuchten bringen. "Nur Rauchen darf man im Urpflanzen-Haus nicht", warnt der Asperger-Autist, dessen Monolog nicht mehr zu bremsen, dessen Gedanken längst davongaloppiert sind. "Dann hat man zwar Nikotin im Blut, aber dafür kein Licht im Haus."

Foto: P.Laffoley / M . Cartin

Und das alles ist erst der Anfang. Paul Laffoley, der auf einem Metallbein durchs Leben wandert, weil er vor ein paar Jahren von einer Leiter fiel und sich sein rechtes Bein komplett zertrümmerte, träumt bereits davon, die Meere zu erobern. Im Jahr 2050, wenn die Weltbevölkerung auf dem Festland nicht mehr genug Platz haben wird, will er die Wasseroberfläche mit tausenden Urpflanzen-Häusern bestücken und miteinander durch vegetarische Tunnels verbinden.

Auf dem Plantimal um die Welt

"Jetzt fragen Sie sich sicher, wie man dann von A nach B gelangt. Ganz einfach! Mit den sogenannten Plantimals." Die makabre, genetische Kreuzung aus Fauna und Flora kann sich durch rasantes Kriechen und Rennen fortbewegen. "Die Plantimals sind schneller als Flugzeug und TGV", erklärt Laffoley. "Ich habe mir schon einmal ausgerechnet, dass eine Erdumrundung auf einem Plantimal rund sechs Minuten dauern würde. Es zahlt sich also aus, in diese Richtung zu investieren."

Foto: P.Laffoley / M . Cartin

Paul Laffoleys größter Wunsch? "Keine Frage, eine Welt aus Urpflanzen-Häusern natürlich! Aber ganz im Ernst: Ich habe noch nie etwas gebaut. Ich würde gern einmal ein ganz normales Haus bauen. Aber dafür ist es wohl zu spät, diese Kurve kriege ich nicht mehr. Ich lebe bereits in der Utopie."
(DER STANDARD, Printausgabe, 24./25./26.12.2010)

 

 

Foto: P.Laffoley / M . Cartin