Lucas Cranach: "Venus und Amor"

Foto: Villa Borghese

Wer denkt bei Renaissance nicht sofort an Italien. Das mag an Jacob Burkhardts den Begriff prägendem Standardwerk "Die Kultur der Renaissance in Italien" liegen, sicherlich aber daran, dass dank Michelangelo, Leonardo da Vinci, Raffael Italien zum Inbegriff der Wiedergeburt der Antike wurde.

Doch auch nördlich der Alpen wollte man sich aus der starren Enge des Mittelalters lösen, strebte einmal eher nach naturgetreuer Darstellung, dann wieder mehr nach den Schönheitsidealen der Antike. Dürer ging den Weg der erhabenen Größe der Vergangenheit. Cranach lag mehr am Hier und Jetzt, am Geschehen bei Hofe und der Gesellschaft von Wittenberg, namentlich dem reformatorischen Umkreis seines Freundes Luther. Dürer reiste mehrfach nach Italien, Cranach 1508 nach Flandern. Diese Reise nach Antwerpen und Mecheln zeichnete den Wendepunkt in seiner Karriere, die fortan steil aufwärts ging: Kaiser Maximilian I. und dessen Enkel Karl, der spätere Karl V., ließen sich von ihm porträtieren.

Zuvor war der 1472 im oberfränkischen Kronach geborene Maler nach Wien gereist. Hier stimmten ihn die Meister der Donauschule auf ein neues Naturempfinden ein, das dem Menschen seine Hauptrolle im Bild absprach. Ein Gedanke, der den humanistischen Vorstellungen der Italiener eher widerstrebte. Welten liegen also zwischen Cranachs minutiösen Landschaftsbildern mit staffageähnlichen Figuren und Raffaels Kompositionen der harmonischen Entsprechung von Mensch und Natur; ganz zu schweigen von dem milden, ansprechenden Lächeln von Bellinis Madonnen und dem abweisenden Blick der Cranach'schen Jungfrauen.

Diese beiden so grundlegend verschiedenen Renaissanceformen gegenüberzustellen ist ein reizvolles Unterfangen. Doch brauchte es dazu mehr Raum und paradoxerweise auch Material, als es die Galleria Borghese bieten kann: Trotz oder gar wegen der Fülle der Werke der italienischen Variante kommt diese nur undifferenziert zur Geltung; die nordische wiederum ist allzu punktuell und einzig und allein von der doch sehr eigenwilligen Spielart Cranachs repräsentiert. Cranach wirkt ohne seine Mitstreiter aus dem Norden ein wenig an die Wand gedrängt.

In der Gegenüberstellung der beiden Renaissance-Welten bilden Akte und Porträts die Schwerpunkte. Cranach hatte kein idealisiertes Bild vom Menschen allgemein, vom weiblichen Part insbesondere. Die Frauen, ob mythologischer, heidnischer oder biblischer Herkunft, tragen das Bewusstsein des Sündenfalls standhaft auf ihren schmalen Schultern und stellen ihre Blöße unverblümt, höchstens von einem Schleier verhüllt, zur Schau.

Sie sind nicht von verführerischer Unschuld, sondern von schuldbewusster Verführung. Cranachs Figuren posieren: kokett mit der Perlenkette spielend, herablassend unter dem Kopfputz hervorschauend, die Trophäe, etwa das Haupt Johannes des Täufers, aristokratisch auf dem Silbertablett präsentierend. Keine Spur von Hingabe und Natürlichkeit wie bei Correggios "Danae" oder Tizians "Irdische und Himmlische Liebe"; wohl aber von "Weibermacht" , einem beliebten Thema der Hof-Kabinettstückchen.

Von ganz anderer Art, puritanisch streng und sittsam, ist die Häuslichkeit, die das Familienalbum offenlegt. Cranach illustrierte nicht nur die Luther-Bibel, sondern war als engster Freund auch dessen Trauzeuge. Die schlichten Bildnisse der Eheleute und der Eltern Luthers haben privaten Charakter, zeugen aber von Cranachs tiefsten Anliegen, allegorisch und allgemeingültig zu sprechen.

Auch in den Herrscherporträts konzentrierte sich Cranach auf das Wesentliche, wie etwa bei Karl V. auf dessen berühmtes habsburgisches Kinn. Vielleicht ahnte Cranach schon 1533, als er das Porträt schuf, dass 14 Jahre später sein Dienstherr Kurfürst Herzog Johann Friedrich der Großmütige bei Mühlberg vom Kaiser geschlagen werden sollte. Cranach folgte seinem Herrn ins Exil nach Innsbruck, später nach Weimar, wo der Maler 1553 81-jährig starb. (Eva Clausen aus Rom/ DER STANDARD, Printausgabe, 24./25./26.12.2010)