Furchterregend die schreiende Personifikation des Hungers, die Pierino da Vinci 1548/49 über Graf Ugolino, dessen Söhnen und dem Flussgott schwebend darstellte.

Foto: Liechtenstein-Museum

Graf Ugolino della Gherardesca war ein machtgeiles Früchtchen. Seit dem 11. Jahrhundert bekleideten seine Vorfahren hohe Ämter in Pisa, eine Tradition, die gewissermaßen verpflichtete. Von zügellosem Ehrgeiz getrieben, strebte er die Herrschaft über die Stadt an, wechselte dabei mehrfach die politischen Bündnisse, so lange, bis er das Vertrauen aller verloren hatte. 1289 stürzte ihn Erzbischof Ruggiero Ubaldini, ließ ihn und einige seiner Söhne in einen Turm sperren, den Schlüssel in den Arno werfen und die Gefangenen elend verhungern. Eine grausame Episode, die Dante Alighieri in den Jahren 1307-1320 im Inferno seiner Göttlichen Komödie als Beispiel für Hass, Untreue und Verrat aus maßlosem Ehrgeiz verewigte. Bis heute sorgt eine Verszeile für wilde Spekulationen: "Bis Hunger tat, was Kummer nicht vermag" interpretierten viele als Hinweis darauf, dass Ugolino in den Stunden vor seinem Tod nicht einmal vor Kannibalismus zurückgeschreckt sein und sich am Fleisch seiner bereits verstorbenen Söhne bedient haben soll.

Meisterliche Perfektion

Diesen Aspekt des Grauens sucht man in einem Mitte des 16. Jahrhunderts ausgeführten Bronzerelief, das noch im 18. Jahrhundert aufgrund der herausragenden Qualität und Anklänge als ein Michelangelo galt, vergeblich. Der Künstler wurde von der Forschung längst als Pierino da Vinci, Neffe des legendären Leonardo, identifiziert. Meisterhaft, so das einhellige Urteil ganzer Generationen an Kunsthistorikern, der kompositorische Aufbau. Dazu die Perfektion der Modellierung, die mit ihren plastischen und auch malerischen Valeurs alle Register zieht. Kein Wunder, dass auch Johann Kräftner diesem Anblick mit Haut und Haar verfiel. Dass er sogar Fürst Hans-Adam II. trotz des barbarischen Motivs dafür begeistern konnte, überraschte ihn dann doch ein wenig.

Zumal hier von einer Anschaffung in der Größenordnung von mehr als elf Millionen Euro die Rede ist - die darüber hinaus einen außergewöhnlichen Etat an Geduld erforderte, sehr viel mehr als alle anderen im Laufe des heurigen Jahres erworbenen Pretiosen zusammen: die eine (Ferdinand Küss, Stillleben mit Rosen und Marillen, Kinsky, 50.000 Euro) oder andere (ein Paar Biedermeier-Konsolentische, Dorotheum, 67.400 Euro) in Wien.

Vieles kaufte er im Handel, bei Kugel (Paris) ein Wiener Boulle-Kabinett, bei Neuse (Bremen) Intarsiertes wie einen Renaissance-Tisch deutscher Provenienz oder ein kleines Kabinett Mailänder Herkunft. Zwischendurch ersteigerte er Friedrich von Amerlings Porträt seines elfjährigen Bruders Joseph (Sotheby's London, 152.675 Euro). Zuletzt hielt Wilhelm de Grofs bei den Tomasso Brothers (Leeds, UK) entdeckte Büste von Maximilian II. Emanuel im Wiener Liechtenstein-Museum Einzug. Eine kleine Auswahl der Shoppingtour 2010 bitte schön.

Die mit Abstand größte Freude aber bescherte dem Chefeinkäufer das Relief. Nach Monaten des Bangens, ob die britischen Behörden auch die Ausfuhr genehmigen würden, konnte der von Sotheby's begleitete Private Sale im Herbst abgeschlossen werden. Bevor das Relief im Saal V. seine neue Heimat fand - wozu man es erst mal aus Kräftners Arbeitszimmer bergen musste - gönnte sich der noch ein paar innige Momente nichtöffentlicher Versunkenheit. (Olga Kronsteiner/ DER STANDARD, Printausgabe, 24./25./26.12.2010)