Herzanfall im Supermarkt. Fünf Monate lag Andrée L. (67) im Koma, dann starb sie. Später fand ihr Mann heraus, dass seine diabeteskranke Frau zwei Jahre lang die hungerstillende Arznei Mediator genommen hatte. "Da habe ich verstanden", sagt er heute.

Inzwischen hat die französische Behörde für Gesundheitssicherheit (Affsaps) die Diabetes arznei verboten. Laut nationaler Krankenkasse sind 500 Todesopfer zu beklagen. Gemäß einer Studie sind es bis zu 2000. Insgesamt dürften drei Millionen Patienten das Mittel des französischen Labors Servier eingenommen haben, 30 Prozent wegen Diabetes, 70 Prozent zum Abnehmen.

Arznei blieb auf dem Markt

Dabei waren Experten die Nebenwirkungen der Mediator-Aktivsubstanz Benfluorex bekannt. Französische Ärzte hatten erstmals 1998 Zweifel geäußert. Bis 2005 verboten Länder wie Spanien und die Schweiz die Arznei (in Deutschland und Österreich war sie nicht erhältlich). In Frankreich - wie in Portugal und Zypern - blieb es bis November 2009 auf dem Markt. Die Frage ist: Warum?

Die Zeitung Le Monde schreibt, Servier sei bekannt für seine "aggressiven Handelspraktiken". Schon öfter musste der zweitgrößte Pharmahersteller Frankreichs Medikamente zurückziehen - und ging immer gerichtlich dagegen vor. Mediator brachte Servier über 300 Millionen Euro ein. Konzernchef Jacques Servier (88) hat in einem Buch selbst eingeräumt, er wohne nur in Paris, weil man dort "ständig intrigieren" müsse.

Lungenfachärztin Irène Frachon, die mit einem Anti-Mediator-Buch 2006 Alarm schlug, meint, Servier übe auf die Ärzteschaft "furchtbaren Druck" aus. Frachon musste 2010 wegen einer Klage den Titel ihres Buches "Mediator - wie viele Tote?" ändern.

Die Frage erscheint aber berechtigt. Ebenso Frachons Hinweis, Angestellte von Servier seien in mehreren Kommissionen der Gesundheitsbehörde Affsaps tätig. Statt Patienteninformation betreibe Affsaps "Geheimniskrämerei".

"Nichts gewusst"

Noch brisanter ist die Frage, wie viel die Gesundheitsminister der Jahre 1998 bis 2009 wussten. Darunter ist die heutige Sozialistenchefin Martine Aubry, Parteifreund Bernard Kouchner sowie zwei aktuelle Minister der bürgerlichen Regierung, Xavier Bertrand und Roselyne Bachelot. Sie alle wollen von nichts gewusst haben.

Präsident Nicolas Sarkozy reagierte am Mittwoch erstmals auf den Skandal und versprach "totale Transparenz" durch eine Untersuchung der Sozialinspektion. "Alle Konsequenzen" würden gezogen, allfällige "Systemlücken" korrigiert.

Für schiefe Optik sorgt aber, dass die Anwaltskanzlei, für die Sarkozy früher arbeitete, den Konzern jahrelang vor Gericht vertreten hat. Den Konzernchef selbst hat der Staatspräsident noch Mitte 2009 mit dem Verdienstorden der Ehrenlegion ausgezeichnet.