"Tapetum Lucidum": Lichtinstallation von Nina Canell in ihrer Ausstellung in der Factory des Mumoks.

Foto: Mumok

 

Wien - Inzwischen züngeln auf Adventkränzen in jeglicher Größe Elektroflämmchen, suchen mit roten Glühfäden heimeliges Kerzenlicht vorzutäuschen. Chancenlos. Dann doch lieber gleich das kühle Flimmern von Neonröhren.

29 dieser mit blauem Gas gefüllten Röhren hat Nina Canell (geb. 1979 in Schweden) zu zwei Raumobjekten verarbeitet: Tapetum Lucidum (lat.: helle Tapisserie) heißen diese Arrangements aus mit lichter Farbe beschichteten Röhren, deren rhythmisches Flackern, wohl durch darumgeschlungene Kupferdrähte bedingt ist. Es ist ein Flimmern, das an Dimensionen von "Leben" denken lässt; das von der Äußerlichkeit des Gegenstands in ein Inneres leitet, von den einer Skulptur innewohnenden Kräften erzählt.

Rundherum ein fast schon dekoratives Knäuel aus Kabeln und Mehrfachsteckdosen, das sich aus einem von der Decke hängenden Kabel speist. Aber Canells installativ arrangierte Arbeiten sind weit entfernt von schmückendem Design. Statt lästiges, zu kaschierendes Beiwerk zu sein, ist Strom als systemerhaltender Versorger einfach ein wichtiger Bestandteil ihrer Installation.

Canells kleine Personale in der Factory des Mumok verknüpft sich mit dem Baloise-Kunstpreis 2009, den jedes Jahr einer der auf der Art Basel versammelten Emerging Artists (Art Statements) erhält. In Wien zeigt die in New York lebende Künstlerin allesamt neue, für das Mumok konzipierte Arbeiten. Es sind fragile, zarte Objekte, die teilweise drohen, vom mächtigen Weiß des White Cube verschlungen zu werden: So wie Waver, eine Arbeit aus unterschiedlich tief in der Wand versenkten Stimmgabeln, oder On Thirst (Rope), die unterschiedlich lange Schlingen aus Seil, Blei und einen in Form gezupften, jedoch zerkauten Kaugummi auf Nägelchen hängt.

Es sind leitfähige Materialien wie Eisen und Kupfer, erdverbundene wie Holz, Stein und Glas, magnetisch Aufgeladenes, nicht Greifbares wie Strom, Licht und Ton, mit denen Canell operiert und die stark an Joseph Beuys erinnern. Nicht ohne Grund ist die 31-Jährige auch Teil der Gruppenschau Neue Alchemie. Kunst der Gegenwart nach Beuys, die bis 16. 1. im Westfälischen Landesmuseum Münster, zu sehen ist.

In ihren Anordnungen finden sich jedoch auch Anklänge an Dadaistisches, hat Canell doch in verschiedenen Ausstellungen scheinbar sinnlose Maschinen gebaut: Installationen, die Vibrationen, Tonstörungen, Lichtblitze hervorrufen. Und auch in Wien wirken viele ihrer Arbeiten so, als hätte ein Dichter, eine Poetin physikalische Versuchsanordnungen zerpflückt und deren Elemente neu arrangiert. Dass Nina Canells Arbeit aber nicht nur poetisch, sondern auch politisch ist, verdeutlicht ein anderer Kaugummi.

Stummes Kauen

Dieser, beziehungsweise elf davon, spielen in der Arbeit Unanswered Elemental Thoughts Hauptrollen: Die Künstlerin schickte die Kaumuskelbeschäftiger an die mit Hausarrest belegte politische Aktivistin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. 15 Jahre lang mundtot gemacht, der Langeweile überantwortet, passt der Zeit dehnende Gummi zu Suu Kyi, die am 13. November diesen Jahres von der Militärregierung Myanmars aus ihrem häuslichen Gefängnis entlassen wurde.

Canell bat die Politikerin darum, jeden Kauvorgang mit einem Gedanken zu verbinden. Über Ecken, Staub, Wellen, Widerstand und Distanz dachte sie nach. Dann schickte sie die Kaugummis zurück. Als Klumpen schwebt er nun zusammen mit einem Stein auf einem unsichtbaren, magnetischen Kraftfeld.

Der Zauber der Ausstellung wohnt im Detail. (Anne Katrin Feßler / DER STANDARD, Printausgabe, 23.12.2010)