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Kindchenschema hoch zwei: junge Enoks beim Putzig-Dreinschauen. Die hundeartigen Tiere aus dem Osten sind längst in Österreich heimisch. Die scheuen Zuwanderer sind weiter verbreitet als gedacht.

Foto: APA/Wulf Pfeiffer

Sie kamen aus dem Osten und überwanden den Eisernen Vorhang bereits lange, bevor die friedliche Revolution diesen niederriss. Ihre Vorfahren hatte man aus Asien verschleppt - sie sollten helfen, die Pelzindustrie im Westen der Sowjetunion anzukurbeln. Marderhunde, auch Enoks genannt: Mehr als 9000 dieser wuscheligen Tiere wurden ab 1928 aus Ostsibirien importiert und in der Ukraine, im europäischen Teil Russlands und dem Baltikum ausgesetzt.

Die Zwangsumgesiedelten kamen in der neuen Heimat gut zurecht. Sie vermehrten sich, und der Nachwuchs begab sich auf Wanderschaft. Die Grenzen waren noch dicht, aber ihnen stand Europa offen. Der Vormarsch ging in stetigem Tempo voran. Finnland, Polen, Deutschland: Schon 1970 bewohnten Enoks schätzungsweise 1,1 Millionen Quadratkilometer europäischen Gebiets.

Unscheinbarer Einwanderer

Oft aber nahm zuerst niemand Notiz von den Neuankömmlingen. "Sie sind einfach sehr scheu" , erklärt die Wildbiologin Tanja Duscher von der Veterinärmedizinischen Universität Wien gegenüber dem Standard. Die Tiere seien nicht nur nachtaktiv, sondern auch überaus menschenscheu. Dörfer und Siedlungen werden in Mitteleuropa anscheinend großräumig gemieden, sagt Duscher. Ganz anders als in Japan, wo eine Marderhundunterart sogar in die Außenbezirke von Städten vordringt.

Tanja Duscher untersucht die Verbreitung des Enoks in Österreich. Wie viele dieser Vierbeiner hierzulande leben, ist nämlich gänzlich unbekannt. Sicher ist nur: Sie sind da. Bereits 1954 soll bei Karlstift im Waldviertel erstmals ein Marderhund gesichtet worden sein. Während der Sechziger und Siebziger gab es immer angebliche Enokbeobachtungen. Der erste sichere Nachweis eines solchen Tieres auf österreichischem Boden gelang allerdings erst 1983, als - ebenfalls im Waldviertel - einem Jäger dort ein ausgewachsener Marderhundrüde in die Falle ging. Weitere Belege folgten. Waidmänner bekamen die Zuwanderer vor die Flinte oder fanden tote Exemplare.

Inzwischen dürfte sich der Marderhund in einigen unserer Gefilde fest etabliert haben, vor allem in Ober- und Niederösterreich sowie dem nördlichen Burgenland. "Je näher man der Donau kommt, umso mehr Nachweise gibt es" , berichtet Tanja Duscher.

Vielleicht haben sich die Tiere wegen ihrer Vorliebe für wasserreiche Waldgebiete vorrangig über die Donauauen ausgebreitet. Aber gewiss nicht nur dort, betont Duscher. "Schon Mitte der Neunziger stellte man fest, dass sich die südliche Verbreitungsgrenze weiter südwärts verschob."

Viel häufiger als gedacht

Heutzutage gibt es bereits Meldungen aus Kärnten, nur aus Tirol und Vorarlberg liegen noch keine Belege vor. Der höhere Alpenraum eignet sich nicht sehr gut als Enokhabitat. Dennoch dürften die heimlichtuerischen Säuger in Österreich viel häufiger vorkommen als gedacht, meint Duscher. Die Biologin hat deshalb ein bundesweites Umfrageprogramm gestartet, in dessen Rahmen sämtliche Hinweise über Marderhunde gesammelt und ausgewertet werden (siehe Webtipp).

Anderswo weiß man bereits mehr. Im norddeutschen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern sind Marderhunde längst zu einem festen Bestandteil der Fauna geworden. Dort haben Forscher der Uni Rostock und der TU Dresden ausgiebige Freilandstudien zum Verhalten der Enoks durchgeführt. Man fing die Tiere ein und legte ihnen Halsbänder mit Peilsendern an.

So gelangen aufschlussreiche Einblicke ins Leben der Marderhunde. Sie leben monogam und gehen offenbar buchstäblich einen Bund fürs Leben ein. Männchen und Weibchen sind meistens zusammen unterwegs. Sie leben zwar in festen Wohngebieten, aber verteidigen kein Territorium. Im Winter sind die Vierbeiner weniger aktiv, halten aber keinen echten Winterschlaf. Bei extremer Kälte suchen sie gerne Schutz in alten Fuchsbauen.

Väter bewachen Jung-Enoks

Junge Marderhunde kommen im Frühling zur Welt. Ihre Mutter unternimmt ab diesem Moment längere Streifzüge, um genug Futter finden zu können und so den lebenswichtigen Milchfluss aufrechtzuerhalten. Während sie unterwegs ist, bewacht der Vater die Kleinen im Nest (vgl. Wildlife Biology, Bd. 14, S. 457).

Manche Jäger und Naturschützer befürchten, dass eine Enokinvasion einheimische Tierarten bedrohen oder der Ausbreitung von Krankheiten und Parasiten Vorschub leisten könnte. Auch diese Fragen will Tanja Duscher mittels ihrer Studie klären. Mageninhaltsanalysen sollen Auskunft über den Speiseplan österreichischer Marderhunde geben. Aus deutschen Untersuchungen kennt man bereits die Neigung des Enoks, recht große Mengen Mais und Früchte zu verzehren.

Erdkröten werden trotz ihrer Giftdrüsen gänzlich verspeist, und auch Aas wird gerne genommen. "Er ist eher ein Sammler als ein Jäger" , erklärt Tanja Duscher. Mit dem Fuchs könnten die Zuwanderer zwar theoretisch in Konkurrenz treten, doch bislang gibt es hiefür keine konkreten Hinweise. In Mecklenburg-Vorpommern blieb der Fuchsbestand seit der Ankunft der Marderhunde stabil. (Kurt de Swaaf/DER STANDARD, Printausgabe, 22.12.2010)