Bild nicht mehr verfügbar.

In der überwiegenden Zahl der Fälle ist das WPW-Syndrom ein Zufallsbefund.

Foto: Reuters/Jessica Rinaldi

Wien - Juli 1993, ich bin 19 Jahre alt und in Tunesien auf Urlaub, ich habe Angst. Meine Freunde haben soeben den Notarzt gerufen, mein Herz schlägt wie verrückt. Schlagen ist eigentlich eine Untertreibung, es rast so schnell, dass man nicht mitzählen kann. Es müssen mindestens 200 Schläge in der Minute sein, vielleicht auch 220, drei bis vier Schläge in der Sekunde, man kann die sich wölbende Brust mühelos durch das T-Shirt erkennen. Die Tachykardie wurde ohne erkennbare Ursache ausgelöst, sie kam aus dem Nichts und genauso verschwand sie auch wieder, von einer Sekunde auf die andere. Nach rund zehn Minuten, noch ehe der Notarzt eintraf. Ich wusste seit längerer Zeit, dass ich an einem WPW-Syndrom leide, aber nun bekam ich erstmals mit voller Wucht die Symptome zu spüren.

Bei einem gesunden Herzen gibt es nur eine elektrische Verbindung zwischen Herzvorhöfen und Herzkammern: den AV-Knoten. Bei einem Wolff-Parkinson-White-Syndrom entsteht durch eine zusätzliche Leitungsbahn ein Kurzschluss, der einen gestörten Rhythmus zur Folge hat. Ich wusste schon vor dem Auftreten der ersten Symptome von dieser Anomalie, da ein Arzt diesen Herzfehler auch im Normalzustand anhand eines Elektrokardiogramms erkennen kann. Und obwohl man mir erklärt hatte, dass im Normalfall kein Schaden durch einen Anfall entsteht, war ich durch das erstmalige Auftreten der Symptome verunsichert.

Das launige Syndrom

Meine anfängliche Beunruhigung sollte sich im Laufe der Jahre legen, ich wurde quasi zum WPW-Profi und entwickelte einen routinierten Umgang mit den Herzrhythmusstörungen. Ich trank kaltes Wasser, ich hielt die Luft an und vor allem blieb ich nicht stehen, da mir von möglichen Ohnmachtsanfällen berichtet wurde. Ein Schema war über all die Jahre niemals erkennbar: es erwischte mich beim Sport oder während einer Besprechung im Büro ebenso wie beim entspannten Abhängen auf der Couch. Manchmal verschwand es ein halbes Jahr in der Versenkung, dann fiel es drei Mal im Monat wie wild über mich her. Diese völlige Unberechenbarkeit hat auch ihre Vorteile: es wäre sinnlos, sein Leben dem launigen Syndrom unterzuordnen.

Erst als sich die Anfälle im Februar 2006 dramatisch häuften, entschied ich mich zu einem weiteren Besuch beim Kardiologen, er riet mir zu einer endgültigen Beseitigung des Problems mittels Katheterablation. Im Rahmen dieser Behandlung wird über die Leiste durch die Blutgefäße zum Herzen vorgedrungen, dort soll die zusätzliche Leitungsbahn zerstört und damit das WPW-Syndrom beseitigt werden. Klingt für den Laien aufregend, ist für die Spezialisten aber mittlerweile Routine. Hätte ich geahnt, was mich wenige Jahre später erwarten sollte, wäre ich beim nächsten freien Termin mit einem Lächeln auf dem Tisch gelegen. So erbat ich mir aber Bedenkzeit, das WPW-Syndrom tauchte wieder unter und ich schob den Eingriff auf.

Die Truppe mit dem Holzhammer

Als ich Anfang 2009 schwer erkrankt im Wiener Allgemeinen Krankenhaus lag und mir gerade Unmengen einer extrem ekelhaften Flüssigkeit als Vorbereitung zu einer Koloskopie kredenzt wurden, traf mich das WPW-Syndrom in einem bisher unbekannten Ausmaß. Während die mir bislang widerfahrenen Episoden nie länger als eine Viertelstunde anhielten, dauerte diese eine gefühlte Ewigkeit. Eine gute Stunde probierte ich es mit den üblichen Methoden, alles sinnlos. Mir wurden zwei verschiedene Infusionen verabreicht, wirkungslos. 

Schließlich kam eine sechsköpfige Truppe in orangefarbenen Kitteln anmarschiert, vermutlich die Eliteeinheit unter den Ärzten, formierte sich um mein Bett, beriet sich und kam zu einem Schluss: "Da hilft nur noch der Holzhammer". Der Hammer heißt in diesem Fall Adenosin. Durch die Injektion wird die Erregungsüberleitung vom Vorhof zum Ventrikel blockiert, wodurch ein einige Sekunden dauernder "Mini-Herzstillstand" ausgelöst wird. Man muss dabei nicht wiederbelebt werden, es wird bloß angenehm warm, dann steht die Welt kurz still und schließlich fühlt man sich als wäre das System neu aufgesetzt. Die Oranje wünschten mir einen schönen Abend und verschwanden wieder in den Weiten des Krankenhauses. Surreal.

Kein weiterer Aufschub

Da ich damals wegen einer Herzmuskelschwäche behandelt wurde, führte an der Planung einer Ablation kein Weg mehr vorbei. Der Zeitpunkt sei endgültig gekommen, meinten die Ärzte, mein Herz sei schon ohne das WPW-Syndrom bedient genug. Das leuchtete mir ein, der Termin wurde für den 7. Mai 2009 angesetzt. Aber es war einfach nicht mein Jahr, der Eingriff wurde abgebrochen. "Das schaut nicht gut aus", meinte der Arzt während er an mir werkte. Die zu zerstörende Leitungsbahn lag in unmittelbarer Nähe des AV-Knotens. Und wenn der beschädigt wird? "Dann wachen Sie morgen mit einem Herzschrittmacher auf." Ich lehnte dankend ab und ließ mich unverrichteter Dinge auf mein Krankenzimmer chauffieren.

Ich nahm in den nächsten Monaten Medikamente, um die Rhythmusstörungen zu verhindern. Aber das WPW-Syndrom war stärker, ein weiteres Mal musste ich den Notarzt bemühen. Also hieß die nächste Idee der Ärzte "Kryoablation". Ein ähnliches Verfahren wie die gängige Hochfrequenzablation, nur wird hier Kälte statt Hitze eingesetzt. Die Behandlung soll weniger riskant sein und wird in Innsbruck durchgeführt. Das traf sich günstig, da ich ohnehin wegen einer Herzbiospie nach Tirol reisen musste. Ich stieg also mit Frau und Kind auf den Bergisel, ehe ich am 3. März 2010 im Landeskrankenhaus Innsbruck vorstellig wurde. "Herzrhythmusstörungen sind meine Leidenschaft!", mit diesen euphorischen Worten begrüßte mich der leitende Oberarzt. Das gefiel mir, mein Vertrauen war geweckt.

Sieben Stunden am Tisch

Dieses Vertrauen war am nächsten Tag hilfreich. Während des Eingriffs entstand nämlich ein deutlich spürbares Chaos in meinem Herzen, der Mediziner nennt dies Vorhofflimmern. Also beugte sich der Oberarzt über mich und sprach mit sanfter Stimme: "Herr Bauer, wir schicken Sie jetzt besser in den Schlaf." Und noch ehe die Assistentin den Defibrillator hervorzog, schlenderte ich durch ein Land voll Milch und Honig. Kaum aufgewacht, wiederholte sich die Prozedur zwei weitere Mal. Anschließend wurde die Biopsie durchgeführt, nach sieben Stunden war alles erledigt. Der Oberarzt ließ mich wissen, dass er die Verödung doch nicht mit einer Kryoablation, sondern nach mehreren gescheiterten Versuchen mit einer klassischen Hochfrequenzablation durchgeführt hatte.

Mein Dank wurde am folgenden Tag zurückgewiesen, da sich die zusätzliche Leitungsbahn in den ersten Monaten nach der Behandlung erholen kann. Mittlerweile sind neun Monate vergangen, mein Herz schlägt wie ein Schweizer Uhrwerk und meinen Dank habe ich per e-Mail nachgeholt. Ich habe in den letzten zwei Jahren eine Sarkoidose, einen erkrankten Herzmuskel und ein WPW-Syndrom behandeln lassen. Manche Menschen meinen, ich hätte unglaubliches Pech. Ich denke genau das Gegenteil. Es ist Dezember 2010. Ich habe keine Angst mehr. (derStandard.at, 21.12.2010)

Philip Bauer (37) ist Ressortleiter von derStandard.at/Sport.