Ein Schneiderkabinett als Schwellenraum in die Welt des Traums: Tomasz Kowalskis Ausstellung in der Galerie Senn.

Foto: Galerie Senn

Wien - Im Traum geraten Geschichten außer Kontrolle, galoppieren mit ihren Protagonisten davon, zügellos die Gesetze, die Raum und Zeit diktieren, ignorierend. Im Traum taucht man ab in ein Jenseits, das zwar nicht den Tod meint, aber doch fern genug ist von den Begrenzungen des Realen. Dort wartet, oft gehüllt ins Absurde, das Unbewältigte und das Verdrängte.

Den Weg dorthin will auch der 1984 in Szczebrzeszyn (Polen) geborene Künstler Tomasz Kowalski in der Ausstellung Sen (Traum) - seiner ersten Präsentation in Österreich - gehen. Seine surrealen Motive des Unheimlichen, des Traums und der Maske hat er an kunstgeschichtlichen Referenzen wie Hieronymus Bosch oder James Ensor geschult.

Handwerk, das er mehr als 100 Jahre später zitiert und variiert, um sie für seine symbolistisch aufgeladenen, expressiven Narrative zu nutzen. Quer über die Medien lässt er diese - einer traumhaften Gesetzlosigkeit folgend - springen: Die Figuren wandeln gespenstergleich ihre Gestalt, sind einmal auf ihren Schatten reduzierte Scherenschnitte, ein andermal ins Absurde verzerrte Malereien: ihre langen Glieder etwa zu einem schmalen Schlitz verzwirbelt, der in einer einzigen tiefschwarzen Vorhangfalte unwiederbringlich verschwinden könnte. Mitunter sind es Figuren eines Totentanzes, in der Tradition des Danse macabre, verloren auf einer abstrakten Farbfläche aus nuanciertem Schwarz.

Kowalskis Skulpturen spinnen seine Leinwandfiguren in Form von Attributen weiter. Und so wird man in der Galerie vom Mobiliar eines mysteriösen Schneiders "empfangen". Ein Paravent mit menschlichen Attributen, ein paar Stufen, die plötzlich abbrechen, also ins Nirgendwo führen. Auf einem Gestell harren violette, an die Farbe der Magier erinnernde Stoffe ihrer Verarbeitung und animieren dazu, mit dem Mantel auch gleich die Realität abzulegen. Wer ist der Schneider, den Kowalski als doppelgesichtige Figur mit Zylinder zeichnet? Kappt der in zwei abstrakte Strukturen zerrissene Meister die Leinen zur Welt, schneidet er mit der Schere ein Tor zur Welt des Schlafes?

Es sind absurde Szenarien, die Kowalski überzeugend und mit Anklängen an den polnischen Theateravantgardisten und Multiartisten Tadeusz Kantor entwickelt. Es sind Belange von Form und Ästhetik, die die Geschichten in seinen Arbeiten formen, nicht ihre Handlungen. Jene in der Galerie Senn führt im Übrigen zu einem Kaminkehrer. Für diesen Glücksbringer hat der Künstler ein Hörspiel entwickelt, dessen gruselige Wirkung sich im diffusen Dunkel des bilderlosen Untergeschoßes noch steigert. Bevor der Schornsteinfeger jedoch auf dem Kirchendach verlorengeht, greift er sich mit der rußverschmierten Hand ins Auge. Der getrübte Blick in die Welt lässt ihn "immer wieder neue Töne mit Schwarz" mischen. (Anne Katrin Feßler/ DER STANDARD, Printausgabe, 16.12.2010)