Warum lesen Schüler schlechter als je zuvor? Mangelt es an Gesamtschulen, reformbereiten Lehrern, Schulautonomie, guter Bildungspolitik, kooperationsbereiten Gewerkschaftern, Lehrerbildung, Bildungsbudget ...?

Mitnichten, wer Ursachen für zunehmende Leseschwächen sucht, sollte auch einen Blick auf die massiv veränderte Lernkultur in Volksschulen werfen. Ideologiegeprägte Reformen, Überfrachtung mit zahlreichen neuen Zusatzaufgaben haben diese in hektische pädagogische Großbaustellen verwandelt. Man hält wenig von altbewährten Lernformen, stattdessen setzt eine sich modern gebende Sprachförderung auf Aktionismus: Kinder werden überschüttet mit Materialien, "Easy Learning"-CDs, Stößen von Arbeitsblättern in verwirrend-lustiger Aufmachung, überfrachtet mit Grafik. Die Klassen gleichen vollgerammelten Kinderspielzimmern. An die Stelle bewährter Formen konzentrierten Übens und Einprägens in ruhiger Einzelarbeit sind runde Tische und laute Arbeitsgruppen getreten. Orte des Lernens sind immer öfter Orte des Lärmens. Dabei sollte Lernen immer mühelos-spielerisch sein. Gefragt sind "Projekte", nur ja kein Frontalunterricht! Wer nichts von Event-Pädagogik wie beispielsweise der Lesenacht mit Schlafsackübernachtung in der Klasse hält, ist schnell zum Pauker degradiert!

Zu vieles ist wichtig geworden, ob Schüler am Ende wichtige Basisfertigkeiten beherrschen, bleibt dabei fraglich.

Spitzenplätze beim Lesen erreichen Schulen in Ostasien - in einer Schulkultur, die von den reformpädagogischen Auswüchsen weitgehend verschont geblieben ist. Dort wird weiterhin auf das gebaut, was bei uns aus der Mode gekommen ist: auf systematisches produktives Üben. Und das muss ja nicht in sturen Drill ausarten.(Heinz Zangerle, DER STANDARD, Printausgabe, 16.12.2010)