Nie war Chemie schöner: Alle Elemente in einem Band

Rätselfrage: Was stellt das Bild rechts dar? Die Erde während der Eiszeit, von unten betrachtet? Das neue ORF-Logo? Eine coole Halogenlampe in dunkler Nacht? Alles falsch, die richtige Antwort steht ohnehin über dem blau-weißen Oval: Es handelt sich nämlich schlicht um Sauerstoff. Wird das achte Element des Periodensystems auf minus 183 Grad abkühlt, verwandelt sich das farblosen Gas eine blaue Flüssigkeit.

Herausgegeben wurde das wohl schönste Wissenschaftsbuch des Jahres von Theodore Gray. Der ist nicht nur Miterfinder der Software "Mathematica" und Mitbegründer von Wolfram Research, sondern auch noch Autor der Kolumne "Gray Matter" in der Zeitschrift Popular Science.

Das Sauerstofffoto samt Beschreibung ist zugleich Seite 28 des Bildbands Die Elemente, der alle chemischen Grundbausteine der Welt auf ebenso ästhetischen wie lehrreichen Doppelseiten vorstellt: auf der linken Seite in einem Bild das jeweilige chemische Element und rechts erläuternde Kurztexte sowie weitere Bilder. Prädikat: besonders prächtig. (tasch)

Theodore Gray, „Die Elemente: Bausteine unserer Welt", Köln, Fackelträger Verlag, 240 Seiten, € 30,70

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Toll aufbereitetes Klima(wandel)wissen

An neuen Büchern zum Klima und seinem Wandel herrscht wahrlich kein Mangel. Aus der Flut der Neuerscheinungen zum Thema ragt aber ein Buch eindeutig hervor - und zwar nicht nur wegen seiner Abmessungen: der großformatige Band Klimaschock, den der an der Uni München emeritierte Geograf Günther Michler herausgegeben hat.

Der Klimaexperte trug gemeinsam mit seinen Co-Autoren aus den verschiedensten Forschungsbereichen auf über 300 Seiten alles nötige Wissen über den Klimawandel, seine Ursachen und seine Auswirkungen zusammen und bereitete es höchst anschaulich auf: Rund die Hälfte des Buchs besteht aus instruktiven Texten, die andere aus Fotos und Grafiken.

So entstand ein brauchbares Nachschlagewerk für all jene, die sich nur über einzelne Aspekte informieren wollen - egal, ob über die Pioniere der Klimaforschung oder die Chancen des Geo-Engineering. Man kann den Band aber auch von vorn bis hinten durchlesen. Dann hat man zwar noch nichts gegen den Klimawandel getan - aber ist bestens informiert darüber, was zu tun wäre. (tasch)

Günther Michler (Hg.), "Klimaschock. Ursachen, Auswirkungen, Prognosen", Potsdam, h.f.ullmann. 320 S., € 30,70

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Medizinische Aufklärung mit Witz 

Das Buch, dem wir besonders viele Leser wünschen, kommt auf den ersten Blick leider etwas missverständlich daher: Das Anliegen von Die Wissenschaftslüge ist es nicht, die Forschung an sich schlechtzumachen - im Gegenteil: Das Buch ist eine lehrreiche, ironische und mitunter polemische Abrechnung mit Bad Science, wie der Bestseller im englischen Original heißt, also mit "schlechter Wissenschaft".

Sein streitbarer Autor, der junge britische Arzt und Medizinjournalist Ben Goldacre, nimmt darin die falschen Versprechungen von allerlei wirkungslosen Tabletten, Therapien, Kosmetika, Nahrungsergänzungsmitteln und verantwortungslosem Medizinjournalismus nach Strich und Faden auseinander, dass es eine wahre und lehrreiche Freude ist.

Zudem erklärt er auf sehr verständliche Weise, wie das alles dank des Placebo-Effekts mitunter trotzdem wirkt. Das ist Aufklärung im besten Sinne, die - und jetzt kommt ein kleiner Warnhinweis - bei notorischen Homöopathie- und Alternativmedizin-Aficionados allerdings zu mitunter heftigen Abstoßungsreaktionen führen kann. (tasch)

Ben Goldacre, "Die Wissenschaftslüge", Frankfurt/Main, Fischer TB, 432 Seiten, € 10,20

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Feiner Reiseführer für Wissenschaftsfans

Zugegeben, der Titel des Bandes hat etwas Irritierendes. Aber das Konzept von Mekkas der Moderne. Pilgerstätten der Wissensgesellschaft ist originell und seine Umsetzung gelungen. Gut ausgesuchte Schriftsteller, Forscher und Journalisten beschreiben in 76 kurzweiligen und doch nicht ganz kurzen Kapiteln Orte, an denen Wissenschaftsgeschichte geschrieben wurde.

Die Galápagos-Inseln, wo sich Darwin etliche seiner Ideen holte, befinden sich ebenso darunter wie das Teilchenforschungszentrum Cern bei Genf, das British Museum in London oder Freuds Behandlungszimmer in der Berggasse 9 (vorgestellt von der viel zu früh verstorbenen österreichischen Freud-Expertin Lydia Marinelli).

Ähnlich, aber nicht ganz so gut gemacht ist der ebenfalls 2010 erschienene Geek-Atlas (O'Reilly), in dem gleich 128 Orte rund um den Globus vorgestellt werden, an denen Wissenschaft nacherlebt werden kann. Wien ist in dem Band übrigens mit dem Zentralfriedhof vertreten: wegen Boltzmanns Grab und der darauf eingemeißelten Entropieformel. (tasch)

Hilmar Schmundt, Milos Vec, Hildegard Westphal (Hg.), "Mekkas der Moderne. Pilgerstätten der Wissensgesellschaft", Wien et al., Böhlau, 424 S., € 25,60

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Verblüffende Prognosen von 1910

Es klingt wie eine etwas umständliche Beschreibung eines iPhones: Vom Telefon in der Westentasche (bzw. im Hut) ist da die Rede, vom Vibrieren beim Anruf, von Live-Übertragungen aus dem Konzertsaal und anderen Extras mehr. Das Besondere daran: Der Text wurde vor genau einem Jahrhundert verfasst.

Erschienen ist er im damaligen Bestseller Die Welt in 100 Jahren, der nun unverändert (also in Fraktur gesetzt) neu aufgelegt wurde - das wohl originellste Wissenschaftsbuch des Jahres. Herausgeber des reich illustrierten Bandes war der Schriftsteller Arthur Brehmer, der führenden Experten seiner Zeit für das Projekt gewinnen konnte. So etwas schrieb Bertha von Suttner über den Krieg in 100 Jahren und sah dabei das "Gleichgewicht des Schreckens" erschreckend genau voraus.

In anderen Dingen des Lebens allerdings hat sich weniger geändert als 1910 erhofft. So hieß es, dass "die Liebe von heute auf Betrug, Enttäuschung und materielle Interessen aufgebaut" sei. In Zukunft, also 2010, werde sie "einzig und allein auf radioaktiven Sympathiestrahlen der Seele und des Herzens" beruhen. (tasch)

Arthur Brehmer (Hg.), "Die Welt in 100 Jahren", Hildesheim, Olms, 339 S., € 20,50

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Geschichte, anders erzählt

Dass Naturwissenschafter, denen ein Apfel auf den Kopf fiel oder die Erkenntnis über die Goldmenge in einer Königskrone beim Baden kam, auch nur Menschen mit Bedürfnissen, Ängsten und Fehlern waren, wissen wir schon lange. Die Wissenschaftshistorikerin Patricia Fara hat diese Antihelden-Saga aufgeschrieben und Wert darauf gelegt, die Wissenschafter und ihre Entdeckungen immer im Kontext mit der Welt, wie sie ist und wie sie war, also mit Krieg, Politik, Macht, Geschäft und Intrigen, zu betrachten.

4000 Jahre Wissenschaft erzählt dabei auch davon, dass die europäische Sicht der Dinge nicht die einzig richtige sein muss. Wieso sonst steht die australische Weltkarte auf dem Kopf und rückt Europa an den Rand? Fara bemüht sich konsequenterweise auch darum, Frauen ins Zentrum der Wissenschaftsgeschichte zu rücken.

Die banale Erkenntnis: Über Geschichte schreiben ist eine sehr subjektive Angelegenheit. Nicht was man erzählt, sondern wie man es erzählt ist entscheidend. Im vorliegenden Fall gelingt das sehr unterhaltsam. (pi)

Patricia Fara, "4000 Jahre Wissenschaft", Heidelberg, Spektrum Akademischer Verlag, 448 Seiten, € 41,07

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