Knapp acht Monate nach den Wahlen in Ungarn beginnt das Lächeln langsam auch jenen zu vergehen, die die von Fidesz geführte Koalition mit Zwei-Drittel-Mehrheit an die Macht gebracht haben (Die große Mehrheit der Wähler, die nicht zur Wahlurne schritt, hatte schon vorher keine gute Laune.):

Der von Viktor Orbán lancierte Staatspräsident Pál Schmitt hat sich bemüht, seinen Teil zur Verfassungsänderung beizutragen, indem er anregte, im kommenden Grundgesetz den Schutz der Muttersprache festzuschreiben. Die Ausformulierung dieses Vorschlags, der auf der Homepage des Präsidenten publiziert wurde, strotzte allerdings von grammatikalischen und orthographischen Fehlern. Fidesz stört es auch offenbar keineswegs, dass die Partei, wiewohl sie ihre politische Legitimation aus dem Antikommunismus schöpft, zunehmend eine Ansammlung ehemaliger kommunistischer Kader wurde und die Namen vieler ihrer Funktionäre in den Spitzel-Listen der Kádár-Periode aufscheinen, die während der ersten Monate nach dem Fall des Eisernen Vorhangs dokumentiert wurden.

Die Regierung hat das Verfassungsgericht rabiat angegriffen, Das u. a. von der OSZE scharf kritisierte neue Medienkontrollgesetz gründet auf dem Konzept eines Mannes, der aus Rumänien stammt, wo er seine Kollegen aus der Opposition der Reihe nach an die berüchtigte Geheimpolizei Securitate verraten hatte, - Noch können die ungarischen Medien darüber berichten.

Der Staat greift auf allen Gebieten auf Kosten der Zivilgesellschaft zu, das Wort Kapital ist zum Schimpfwort geworden, die ausländischen Investoren zu Sündenböcken, und schon während der nächsten Monate soll die persönliche Freiheit der Bürger mittels neuer Gesetze - nicht nur für die Medien sondern auch im Bildungs- und Kulturbereich, bei der Wahl der Pensionsversicherung etc. - eingeschränkt werden.

Zugleich werden viele Mitarbeiter aus dem Staatsdienst verdrängt, die Orbán als seine persönlichen Feinde betrachtet - darunter nicht wenige, die dem Regierungschef früher durchaus nahe standen und beim liberalen Beginn von Fidesz nicht nur Zeugen, sondern Helfer waren.

Einer von ihnen ist der bekannte Architekt László Rajk. Sein Vater wurde 1949 nach dem berüchtigten Rajk-Prozess hingerichtet, seine Mutter eingekerkert und er selbst als Baby zu Pflegeeltern gegeben. Die Familie konnte erst nach Jahren wieder vereinigt werden. Rajk wurde später einer der emblematischen Figuren der demokratischen Opposition. Zum 50. Jahrestag der Revolution 1956 beauftragte ihn die Stadt Veszprém, ein Denkmal zu errichten, das 2006 auch aufgestellt wurde, doch in der Zwischenzeit hat die Stadt den Auftrag wieder storniert und das Denkmal in Stücke zerlegen lassen.

Oder: Róza Hodosán, eine Soziologin, die u. a. eine der bedeutendsten Samizdatzeitschriften redigierte und mehrere hundert Bücher herausgab - darunter Werke von Kundera, Konrád, György Dalos, Koestler und Orwell -, wurde vor ein paar Wochen von einem staatlichen Forschungsinstitut für Kinderschutz und Sozialpolitik entlassen, während man die Verwandte eines radikalen rechten Politikers als "Mitarbeiterin für Kommunikation" aufnahm.

Der international bekannte Philosoph Gáspár Miklós Tamás hat seine Position am Institut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften ebenfalls vor kurzem aus politischen Gründen verloren und wurde in Pension geschickt.

Orbán hat Ungarn in das Lager der treuen Freunde und der ihn kritisch betrachtenden Feinde aufgeteilt, und im Besitz der Zweidrittelmehrheit schränkt er der Reihe nach die europäischen liberalen Traditionen ein. Als Folge davon ähnelt die Gesellschaft trotz lauter werdenden Tönen gegen "Kommunisten" zunehmend dem ehemaligen Kádár-System, von dem es sich so sehr unterscheiden will. Einen Unterschied gibt es allerdings: Die Kommunisten postulierten ab 1962, wer nicht gegen uns ist, der ist mit uns. Fidesz hingegen signalisiert, wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns. (Karl Pfeifer, STANDARD-Printausgabe, 15.12.2010)