Beim Schielen gelingt es nicht, beide Augen parallel auf ein Objekt zu richten.

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"Dir werden irgendwann die Augen stecken bleiben!" Es ist ein beunruhigender Mythos, der immer noch seine Kreise zieht und den vor allem Kinder zu hören bekommen, die spaßhalber die Augen verdrehen oder Schielversuche anstellen. "Steckenbleiben können die Augen nicht. Man kann das Auge so weit drehen wie man will, da gibt es keine Struktur, an der es hängen bleiben könnte", räumt Guido Dorner, Facharzt für Augenheilkunde und Optometrie am AKH Wien, mit dem Mythos auf. Die Angst vor dem Steckenbleiben durch das willkürliche Verdrehen ist gebannt - doch der dauerhafte Blick nach innen ist oft erblich bedingt.

Beim Schielen, Strabismus genannt, weicht eine der beiden Augenachsen von der Parallelstellung ab. Obwohl diese Abweichung in alle Richtungen möglich ist, kommt sie am häufigsten auf der horizontalen Achse vor und manifestiert sich als Einwärts- oder Auswärtsschielen. Werden Sehstörungen bei kleinen Kindern nicht erkannt, hat das langfristige Folgen: "Die Früherkennung ist sehr wichtig, denn nur dadurch kann verhindert werden, dass ein Kind auf einem Auge schwachsichtig wird", erklärt Dorner. Untersuchungen der Augen sind daher im Mutter-Kind-Pass bereits im Kleinkindalter vorgeschrieben. Die erste Kontrolle steht zwischen dem 10. und 14. Lebensmonat beim Kinderarzt an, die zweite mit Vollendung des zweiten Lebensjahres bei einem Augenfacharzt.

Erwachsene sehen doppelt, Kinder nicht

Das Sehvermögen entwickelt sich nach und nach in den ersten Lebensjahren durch das Zusammenspiel von Augen und Gehirn und ist mit dem Einschulungsalter weitgehend abgeschlossen. Während dieser Zeit ist es wichtig, die Augen ständig normal zu beanspruchen, um eine optimale Stimulierung beider Augen zu gewährleisten. Durch Augenfehler wie das Schielen wird dieser Prozess gestört und das Sehvermögen kann sich nicht bestmöglich entwickeln.

Beim Schielen gelingt es nicht, beide Augen parallel auf ein Objekt zu richten. Bei Kindern kompensiert das Gehirn die Seheindrücke des schielenden Auges, so dass es zu keinen Doppelbildern kommt. Das heißt, das kindliche Gehirn reagiert auf Sehstörungen, indem es das Bild des schlechteren Auges unterdrückt, um statt der stark störenden Doppelbilder nur noch ein Bild zu erhalten, wodurch aber das räumliche Sehen leidet. Das schlecht sehende Auge wird immer weniger am Sehvorgang beteiligt, was verhindert, dass die bildverarbeitenden Bereiche des schielenden Auges reifen - dies führt schließlich zur Schwachsichtigkeit. "Man nennt diese Schwachsichtigkeit Amblyopie. Die Sehschärfe des betroffenen Auges ist dauerhaft herabgesetzt, ohne dass Schäden am Auge existieren. Die Sehinformationen des Auges werden vom Gehirn einfach ausgeblendet", so der Schielexperte.
Die ursprüngliche Fehlsichtigkeit kann zwar dann noch korrigiert werden, die bereits verursachte Schwachsichtigkeit und damit einhergehend die Störung des räumlichen Sehens bleibt aber bestehen.

Das Begleitschielen ist das "typische" Schielen des frühen Kindesalters. Bei erwachsenen Patienten sind es andere Ursachen, die zu einem Schielen führen. Lähmungen der Augenmuskeln, Schlaganfälle, Nervenschädigungen, Tumore, Verletzungen oder eine Muskelschwäche können das Schielen bedingen. Auch das latente Schielen, das nach Alkoholkonsum, bei Erschöpfung oder nach einer Gehirnerschütterung vorkommt, kann gelegentlich auftreten. Erwachsene sehen im Gegensatz zu Kindern jedes Bild doppelt wenn sie schielen, da ihr Sehsystem bereits ausgereift ist und ihr Gehirn das störende zweite Bild nicht ausblendet.

Brille oder Schieloperation

Bis zu vier Prozent der Kinder in Österreich schielen. Das Begleitschielen ist die häufigste sichtbare Schielform, wobei bei dieser Form das Schielen einen anderen Augenfehler begleitet. "Bei rund der Hälfte der Kinder wird Schielen durch eine nicht korrigierte Fehlsichtigkeit verursacht - meist eine ausgeprägte Weitsichtigkeit", erklärt der Augenmediziner. Brille und Okklusionstherapie, das Abdecken des besser sehenden Auges, seien hier effektive Behandlungsmethoden. Durch diese Methode wird das sehschwache Auge aktiviert und trainiert.

Bei der anderen Hälfte spiele eine erbliche Komponente mit, die eine kongenitale Esotropie, das frühkindliche Innenschielen, verursache, so Dorner. Hier erziele man mittels einer Schieloperation gute Erfolge, bei der betroffene Augenmuskelsehnen operiert werden, Erfolge. Grundvoraussetzung ist, dass ein stabiler Schielwinkel besteht.

Risikogruppen

Zeitweises Schielen in den ersten drei Lebensmonaten ist meist normal, da die Fixation der Augen von den Neugeborenen erst gelernt werden muss. Frühgeborene schielen im Vergleich zu Termingeborenen rund drei bis fünfmal häufiger und tragen bis ins Erwachsenenalter ein erhöhtes Risiko für eine Augenkrankheit. Eltern von Frühchen sollten daher besonders aufmerksam sein und auf Anzeichen für ein Schielen achten; ebenso, wenn Schielen in der Familie vorkommt, da die erbliche Komponente eine wesentliche Rolle spielt.

Ganz einfach ist ein Schielen nicht immer zu erkennen, insbesondere wenn die Augenstellung nur geringfügig von der Parallelachse abweicht, wie es bei einem Mikrostrabismus der Fall ist. Daher sollten Eltern auf Hinweise achten - etwa tränende oder zitternde Augen, Lichtempfindlichkeit, ungeschickte Bewegungen, eine schiefe Kopfhaltung, wenn Kinder ein Auge zukneifen oder ein Auge zuhalten. Oft macht sich die Fehlstellung aber gar nicht bemerkbar, daher sind regelmäßige Untersuchungen bei einem Augenfacharzt umso wichtiger. (derStandard.at, 15.12.2010)