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Wut auf der Straße: Irlands Premier Brian Cowen und sein Finanzminister Brian Lenihan (in Plastik) gelten für viele Menschen als Marionetten der Großbanken.

Foto: Reuters/McNaughton

Riskante Finanzdeals und Darlehen an den eigenen Vorstand haben den Niedergang der Anglo Irish Bank beschleunigt. Die Polizei ermittelt. Anklagen gibt es bisher aber nicht. Die Opposition wittert Korruption in großem Stil.

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Die Dublin Docks waren einst ein prominentes Symbol für die bittere Armut in Irland. Dort, wo der Fluss Liffey die irische Hauptstadt in Nord und Süd teilt, reihten sich bis in die 1980er-Jahre heruntergekommene Lagerhallen und abbruchreife Mietshäuser aneinander. Die Gegend war zwielichtig, erzählen Dubliner.

Dann kam der rasante Aufschwung. Hotels, schicke Geschäfte und jede Menge Banken zogen in die Docks. Auch Seán FitzPatrick wollte hier den Erfolg seiner Anglo Irish Bank mit einem Prunkbau krönen. 2007 gab das Bauamt dem Anglo-Vorsitzenden grünes Licht. Doch dann folgte der Absturz: Anglo wurde verstaatlicht. FitzPatrick musste seinen Hut nehmen, und der Prunkbau ist bis heute ein unfertiges Skelett.

Zwielichtige Deals

Das Desaster bei Anglo prägt aber nicht nur das Stadtbild Dublins, sondern wird in den kommenden Jahren auch die Gerichte des Landes beschäftigen. Denn die 2009 verstaatlichte Bank, in die bisher 22 Milliarden Euro Steuergeld geflossen sind, ist in eine Reihe zwielichtiger Deals verwickelt. Im Zentrum steht dabei der frühere Bankchef FitzPatrick selbst. Er ist laut dem irischen Ökonomen Alen Barrett "heute der mit Abstand meistgehasste Bürger".

FitzPatrick musste Ende 2008 zurücktreten. Wie sich herausstellte, hatte er sich einen 87-Millionen-Euro-Kredit bei seiner eigenen Bank genommen. Damit der Deal nicht in der Bilanz auftauchte, transferierte er das Geld über einen Zeitraum von acht Jahren stets im Dezember zu einer Konkurrenzbank, der Nationwide Building Society. In seiner Rücktrittserklärung gestand FitzPatrick unethisches Verhalten zwar ein, erklärte jedoch, rechtlich korrekt gehandelt zu haben. Inwieweit die restliche Führung von Anglo informiert war, ist unklar. Denn: Nahezu das gesamte Direktorium war bei der eigenen Bank verschuldet. Anglo klagt derzeit etwa den früheren Bank-CEO David Drumm in den USA auf Rückzahlung von Krediten. FitzPatrick, heute in Privatkonkurs, schuldet Anglo 110 Millionen Euro; gegen ihn und andere Direktoren ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Doch FitzPatrick ist "unser kleineres Problem", heißt es in der Zentrale von Anglo, wo längst ein staatlich ernanntes Direktorium die Führung übernommen hat. Das große Problem heißt Seán Quinn. Quinn ist Chef der Quinn-Group, zu der Hotels, Versicherungen und Baufirmen gehören.

Kursmanipulation

Im Sommer 2008 stellte sich heraus, dass Quinn massive Finanzwetten auf Anglo abgeschlossen hatte. Bei diesen Contracts for Difference (CFD) genannten Geschäften sagt ein Verkäufer einem Käufer zu, die Differenz zwischen aktuellem und künftigem Preis eines Produktes zu zahlen. CFD sind hochriskant und in den USA sogar verboten. Quinn trat als Käufer auf. Er spekulierte auf einen Kursanstieg bei Anglo. Mit der Zeit erwarb er laut irischen Medien CFDs im Wert von 25 Prozent des realen Aktienbestandes von Anglo. Aber Quinns Wetten gingen schief, Anglo fiel bereits an den Märkten.

Plötzlich bedrohten die Spekulationen Anglo direkt: Bei CFD-Geschäften kauft der Wettpartner einen Teil der Aktien, auf die gewettet wird, tatsächlich auf, um sich abzusichern. Wenn Quinn pleiteginge, würden seine Partner die Anglo-Aktien nicht mehr benötigen und abstoßen. Die Folge wäre ein Kurssturz, fürchtete der Bankchef FitzPatrick. Beim anschließend eingefädelten Deal kaufte Quinn 15 Prozent der Aktien von Anglo auf, wofür er von der Bank reichlich Kredite erhielt. Weitere zehn Prozent wurden an Investoren verkauft; auch für diese Deals vergab Anglo Darlehen. Die irischen Behörden ermitteln daher wegen des Verdachts auf Kursmanipulation.

Quinn schuldet Anglo heute 2,8 Milliarden Euro, den größten Teil davon wird die Bank wohl abschreiben müssen. Quinn gibt sich nämlich zahlungsunfähig. Seine Versicherung steht bereits unter Zwangsverwaltung. Anglo versucht zu retten, was zu retten ist und bietet selbst um den Erwerb des Irland-Geschäftes bei Quinn-Insurance mit.

"Aufwändigste Ermittlungen"

Die Geschäfte von Anglo sind auch zum zentralen politischen Thema geworden. Ruairi Quinn, Abgeordneter der oppositionellen Labour und früherer Finanzminister, spricht der Nähe der regierenden Fianna Fáil zu den Bankern eine Mitschuld am Desaster zu. "Ich frage mich zudem, warum es trotz all der Vorwürfe bis heute keine einzige Verurteilung oder Verhaftung gegeben hat", sagt Quinn. Bei der Antikorruptionsbehörde ODCE ist "von den aufwändigsten Ermittlungen unserer Geschichte" die Rede. Anklagen gebe es aber noch keine, heißt es in einer Stellungnahme gegenüber dem STANDARD.

Die Vorfälle spielen auch in den beiden Untersuchungsberichten über die Bankenkrise kaum eine Rolle. Ein Report stammt vom irischen Notenbankchef, ein zweiter vom späteren Chef des Eurorettungsfonds Klaus Regling. Regling schreibt zwar von problematischen Vorgängen rund um Anglo, fährt aber fort: "Hier wird nicht suggeriert, dass solche groben Regelverstöße im irischen Finanzsystem an der Tagesordnung waren. Wenn überhaupt, dann waren sie sehr klar auf ganz konkrete Institute begrenzt." (András Szigetvari aus Dublin, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11./12.12.2010)