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"Man muss den Menschen sagen, Kunst ist das Wertvolle": Peter Weibel.

Foto: APA/dpa/Uli Deck

Diese Woche wurde Peter Weibel mit dem österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse ausgezeichnet. Andrea Schurian sprach mit ihm über Pisa, Museen und Wikileaks.

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STANDARD: Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Weibel: Ehrungen sind immer unverdient - besonders, wenn sie andere erhalten. Aber wenn man sie bei anderen bezweifelt, muss man das auch bei sich selber tun. Deshalb habe ich den Kunstexperten und Richter Harald Falckenberg gebeten, zu ermitteln, ob mir diese Ehrung rechtens zusteht.

STANDARD: Im Zuge der Ermittlungen, sprich: bei der Laudatio, kam Falckenberg auch auf Verhaftungen und Verurteilungen am Beginn Ihrer Karriere zu sprechen. Ist der Preis späte Genugtuung?

Weibel: Der Preis hat in Wirklichkeit nichts zu bedeuten. Und wenn, dann kommt er zu spät, weil ich mich ja gegen alle Widerstände längst durchgesetzt habe. Eine solche Ehrung wäre sinnvoll am Anfang einer Karriere. Nicht am Ende, wenn man dabei ist, sich zurückzuziehen.

STANDARD: Zurückziehen ist ein Wort, das man nur schwer mit Ihnen in Verbindung bringt.

Weibel: Ein Grundproblem unserer Gesellschaft ist: Wir verehren Ikarus statt Daedalus, den Vater. Dabei war Daedalus ein Problemlöser und in der griechischen Mythologie Symbol für die Unsterblichkeit des Künstlers. In früheren Kulturen hatte man vor dem Wissen und der Kompetenz der Älteren Respekt. Heute sagt man: Du bist zwar alt und gut. Aber ich bin jung. Dieser Jugendbonus ist ein Wettbewerbsvorteil, Jungsein ein Wert an sich.

STANDARD: Wenn man sich die Pisa-Ergebnisse ansieht: Wird dieser Vorteil, zumindest in Österreich, nicht gerade verspielt?

Weibel: Die Bildungskrise ist Teil des Problems dieser kultischen Verehrung des Jungseins. Jeder Jugendliche sagt: Ich bin jung, das genügt.

STANDARD: Welche Chancen sehen Sie für die Bildungsreform?

Weibel: Die Bildungsreform ist Teil der Bildungskrise. Sie macht die Sache noch schlimmer. Die Jugend wächst doch heute in einer völlig anderen technischen Umgebung auf. Bei Computerspielen ist ein Jugendlicher aktiv; es verändert sich durch sein Handeln unmittelbar etwas in seiner Umgebung. Das will der Jugendliche: dass er etwas bewirken und verändern kann.

STANDARD: Lesen hat keine Wirkung?

Weibel: Nein. Außer auf den Lesenden selbst. Jeder Jugendliche ist durch die Technik, durch iPhones, Handys, PCs imstande, ein Sender zu sein. Und dann sagt man ihm, er soll sich zurücknehmen und nur mehr lesen. Man muss es umgekehrt machen und alle Angebote auf die neuen Technologien setzen. Wenn man beispielsweise ein clipartiges Onlineportal für die besten Wissenschaftsfilme macht, für Diskussionen, Interviews mit bedeutenden Persönlichkeiten, spannende Experimente, könnten die Jugendlichen das mit dem iPhone abhören, zurücksenden, nachfragen.

Merkwürdigerweise übersieht man immer folgenden Zusammenhang: Finnland hat Nokia und ein gutes Schulsystem. Die Finnen haben mit der technologischen Entwicklung Schritt gehalten. Österreich hingegen ist 20 Jahre zurück. Da kann es noch so viele Milliarden in die Bildungsreform buttern: Es wird nichts bringen. Man kann die Kerze nicht mehr verbessern - man muss die Glühbirne erfinden! Alles Geld, das in die Erhaltung der Kerze geht, fehlt der Glühbirne.

STANDARD: Herrscht gesellschaftlicher Konsens, dass Bildung wichtig ist?

Weibel: Überhaupt nicht. Jeder junge Mensch spürt, dass Bildung kein Aufstiegsmedium mehr ist. Unsere Politiker sind beste Beispiele dafür: Sie machen Karriere in der Partei und sind in den meisten Fällen außerordentlich ungebildet. Castingshows sind die neuen Universitäten für Aufsteiger. Da bildet der Superprolet Dieter Bohlen andere Supertalente aus, die dann tausendmal so viel verdienen wie ein Wissenschaftler oder jemand, der Kulturarbeit leistet.

STANDARD: Wie soll das Museum der Zukunft aussehen?

Weibel: Ein Museum ist ein geschlossenes System, das ich nur zu bestimmten Zeiten besuchen kann. Das bewährt sich heute aber nicht mehr. Man muss das Museum technisch öffnen, die Raum-Zeit-Struktur durchbrechen. Ich muss jederzeit ins Museum gehen können: nicht physisch, aber durch das Netzangebot. Und das nächste Mal, wenn ich dann real ins Museum gehe, dann finde ich neben dem Bild, dem Objekt eine Ziffer, ein "quick response". Das fotografiere ich mit meinem Handy und bekomme Informationen, die ich zu Hause noch anschauen kann.

Der Besucher muss auch im Museum ein Sender, ein User sein, egal, ob es sich um alte oder neue Kunstwerke handelt. Wir machen das im ZKM (Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe) sehr erfolgreich. In einer Stadt mit 280.000 Einwohnern haben wir 240.000 Besucher. Ein Jugendlicher, der im Hightech-Environment aufwächst, den werden im Museum ein paar Blätter an der Wand und Steine am Boden wenig beeindrucken. Aber mithilfe der zeitgenössischen Umwelt wird er die alte Kunst entdecken. Museen müssen Jugendliche abholen: Aber nicht, indem sie von berühmten Film- oder Popstars Bilder zeigen, weil die nebenbei auch fotografieren oder malen. Dann machen sie das Gleiche wie das Fernsehen: Sie banalisieren. Man muss den Menschen sagen: Die Kunst ist das Wertvolle.

STANDARD: Welche Rolle spielt das Fernsehen als Kulturmedium?

Weibel: US-Krimis spielen oft in einem wissenschaftlichen oder semiwissenschaftlichen Milieu, im Labor, man sieht DNA-Spezialisten, Computerprofis - und man sieht, dass die Polizei in ihren Recherchen ohne die Wissenschaft nicht weiterkommt. Da sind sogar die Gangster halbe Wissenschafter, Supermechaniker, Hacker. Bei uns bestehen Krimis à la Kottan aus lauter Trotteln, jeder Einzelne ist inkompetent. Das ist zwar lustig, zeigt aber die Entwertung: So wird in der Populärkultur eine falsche Wertung aufgebaut. Nicht in Wissenschaftssendungen, sondern in den Serien, im Mainstream muss dieser Respekt vor Wissen und Bildung verankert sein.

STANDARD: Apropos Hacker: Was sagen Sie zu Wikileaks?

Weibel: Das ist eine wunderbare Einrichtung, eine der größten Errungenschaften: die Kontrolle jener Organe, die sich normalerweise der Kontrolle entziehen. Die Shakespeare'sche Welt der Intrige hat bis zum 19. Jahrhundert gegolten. Heute leben wir in einer Welt der Paranoia. Die Regierungen haben diese Paranoia und daher Angst vor Enthüllungen. Wären es demokratische, transparente Regierungen, hätten sie keine Angst. Doch die Regierungen haben vieles zu verbergen, weil sie Verschwörungsstrukturen haben.

STANDARD: Aber auch wir Bürger wollen doch nicht gern überwacht werden?

Weibel: Wir sind der Souverän, wir sollen die Politiker überwachen und nicht umgekehrt. Es ist grotesk, dass Politiker Immunität genießen. Der Staat ist geschaffen, um uns, die Bürger, und nicht, um die Politiker zu schützen. Doch die Justiz versteht sich als Schutz für die Politiker. Der Justizapparat endet dort, wo die Politik beginnt: Das ist meine Analyse von Österreich. (Andrea Schurian, DER STANDARD - Printausgabe, 11./12. Dezember 2010)