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Mit Bildern des kritischen Journalisten Michail Beketow protestierten Demonstranten am 30. November 2008 in Moskau gegen den brutalen Anschlag auf ihn am 13. November 2008.

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Dieser Text erzählt von den korruptiven Methoden der Stadtverwaltung von Chimki, eine an Moskau angrenzende Satellitenstadt, und er handelt auch von Demonstranten, die gegen den Bau einer dort geplanten Schnellstraße protestieren. Der Bau der Straße hätte die Zerstörung eines großen Waldgebietes zur Folge. Der Autor lebt selbst in Chimki, wo er drei Monate nach der Veröffentlichung dieses Artikels von unbekannten Tätern lebensgefährlich zusammengeschlagen wurde.

Seit vier Jahren schon beobachte ich die russischen Behörden. Mit zahlreichen Vizechefs in der Stadtverwaltung von Chimki, aber auch mit dem Bürgermeister Wladimir Streltschenko selbst habe ich persönlich gesprochen. Die Skandale, die von den jetzigen Machthabern mit beängstigender Regelmäßigkeit produziert werden und deren Echo im ganzen "Mütterchen Russland" widerhallt, bringen mich zu dem trostlosen Schluss: Ändern wird sich nichts.

Am 17. Juli trieben Polizisten in Shodnja eine genehmigte Kundgebung auf brutale Art und Weise auseinander. Was als harmloser Aufmarsch einiger Umweltaktivisten begann, verwandelte sich dank der gewalttätigen Vorgehensweise der Verwaltungsbeamten in eine turbulente Protestaktion. In Sprechchören schrie das Volk: "Weg mit Streltschenko!" Die Teilnehmer der Kundgebung behaupten, der polizeiliche Angriff auf die Kundgebung sei von der Stadtregierung angeordnet worden. Nehmen wir an, das ist wahr - welchen Zweck hatte diese Anordnung dann verfolgt?

Hätte die Stadtverwaltung die Kundgebung der Umweltaktivisten nicht gewollt, hätte sie einfach die Demonstrationsgenehmigung verweigern können. Die Beamten hätten eine eigene Kundgebung organisieren können, eine Kundgebung unter der Ägide der Partei Geeintes Russland zum Beispiel. Statt Umweltschützern wären Befürworter der Vernichtung des Waldes von Chimki und des uralten Eichenhains die Mehrheit der Teilnehmer gewesen. Leute, die einseitige Bebauungspläne genauso schätzen wie das Faible des Chefs der Stadtverwaltung für möglichst teure Gehsteigplatten.

"Destruktive Elemente"

Die Beamten behaupten, in Chimki selbst sei es still, dort rege sich niemand auf über den geplanten Bau der Fernstraße von Moskau nach St. Petersburg, der ein Großteil des Waldgebiets bei Chimki zum Opfer fallen soll. Diejenigen, die bei den Kundgebungen gegen die Vernichtung des Waldes bei Chimki protestieren, seien von sogenannten destruktiven Elementen bezahlt worden.

Auch Bürgermeister Streltschenko behauptet, die Einwohner von Chimki hätten für den Bau der Fernstraße Moskau-St. Petersburg gestimmt. Andererseits haben die Umweltaktivisten bereits 13.000 Unterschriften von Bau-Gegnern an Präsident Dmitri Medwedew übergeben. Dabei kennen 99 Prozent der Einwohner Chimkis nicht einmal alle wichtigen Details über die geplante Fernstraße: Auf Beschluss von Boris Gromow, dem Gouverneur des Moskauer Umlandes, wurde die Breite der Trasse auf 6600 Meter festgelegt. 300 Meter breit ist die Straße selbst, zu beiden Seiten ist ein jeweils drei Kilometer breiter Streifen für die sogenannte Infrastruktur vorgesehen: Supermärkte, Hotels, Hochhäuser. Man kann sich vorstellen, wie viel Geld die Regierung aus dieser "Infrastruktur" herauspumpen will!

Von welcher "Liebe des Beamten zu den Protestlern" kann man da sprechen? Und - wofür sollen die Einwohner von Chimki dankbar sein, denen die gute Luft und Sonnenlicht genommen werden?

Die Stadtverwaltung kann wählen. Entweder herrscht sie weiter wie bisher: In diesem Fall sehe ich bereits Rentner die Leningradskoje-Chaussee blockieren und gegen die Exhumierung von dort begrabenen Soldaten sowie die Vernichtung des Waldes und die selektive Bebauung protestieren. Oder die Verantwortlichen sehen endlich ein, dass Chimki keine Kaserne ist und dass sich die Bevölkerung nicht in Reih und Glied aufstellen lässt. Eine letzte und konsequente Möglichkeit wäre: Mut fassen und zurücktreten.

Nachdem ich diese letzten Zeilen geschrieben habe, wurde ich auf einmal nachdenklich. Im Frühling vergangenen Jahres habe ich nach der skandalösen Umbettung der Gebeine von Soldaten aus dem letzten Weltkrieg die Stadtväter zum Rücktritt aufgefordert. Einige Tage später sprengten Unbekannte mein Auto.

Worauf muss ich mich nun gefasst machen? (Michail Beketow, DER STANDARD; Printausgabe, Album-Spezial 11./12.12.2010)