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Die Festnahme von Mladic ist für die USA nicht mehr besonders wichtig, steht in den veröffentlichten Depeschen zu lesen.

Foto: Darko Vojinovic/AP/dapd

Belgrad - Die USA betrachten die Festnahme des früheren bosnisch-serbischen Militärchefs Ratko Mladic offenbar nicht mehr als oberste Priorität in Bosnien-Herzegowina. Darauf deuten US-Geheimdepeschen hin, die von der Tageszeitung "New York Times" in Kooperation mit dem Enthüllungsportal Wikileaks veröffentlicht wurden. Demnach äußert sich der internationale Bosnien-Beauftragte Valentin Inzko in einer Depesche vom November 2009 besorgt darüber, dass die Amerikaner den "Mladic-Fall aufgegeben" hätten.

Mladic in Belgrad vermutet

Sein Stellvertreter, ein US-Diplomat, beschwerte sich laut derselben Depesche über die Tatsache, dass alle amerikanischen "Militärelemente, die mit den Kriegsverbrechen befasst sind, weggegangen sind". Inzko äußerte sich demnach überzeugt, dass sich Mladic mit einer neuen Identität in Belgrad versteckt und sich dabei womöglich auf eine Sicherheitsfirma stützt, die als sein Helfernetz fungiert.

Die Depeschen legen auch Differenzen innerhalb der Europäischen Union im Umgang mit dem Fall Mladic offen. Während die Niederländer auf einer vollen Zusammenarbeit Serbiens mit dem UNO-Kriegsverbrechertribunal beharrten, seien die Franzosen "flexibler" gewesen. In einer mit Mai 2009 datierten Depesche berichteten US-Diplomaten, dass Frankreich "äußerst unglücklich" mit der "kurzsichtigen" niederländischen Haltung sei, Serbiens Weg in die EU wegen der ausbleibenden Festnahme von Mladic zu blockieren.

Zweifel am Unwissen über Aufenthaltsort

Die Depeschen zeigen deutlich, dass westliche Diplomaten den serbischen Beteuerungen, den Aufenthaltsort von Mladic nicht zu kennen, keinen Glauben schenkten. Belgrad wisse "ganz genau, wo Mladic ist", sagte ein auf dem Balkan tätiger spanischer Diplomat laut einer Depesche aus dem Jahr 2008. Laut den Dokumenten beschwerten sich Berater des serbischen Präsidenten Boris Tadic zudem übe die mangelnde Kooperation Russlands im Fall Mladic.

Tadic dementierte am Donnerstagnachmittag in einer ersten Reaktion, dass Belgrad den Aufenthaltsort des flüchtigen mutmaßlichen Kriegsverbrechers kenne. "Wenn die Regierung wüsste, wo sein Versteck ist, wäre er heute festgenommen", versicherte der serbische Präsident. "Wir wissen nicht, wo Mladic ist."

Karadzic-Festnahme nicht überraschend

Die US-Depeschen bestätigen auch, dass die Festnahme des früheren bosnisch-serbischen Präsidenten Radovan Karadzic keineswegs so überraschend erfolgte wie es den Anschein hatte. Der damalige serbische Geheimdienstchef Rade Bulatovic habe den Aufenthaltsort von Karadzic, der sich unter falschem Namen als Heilpraktiker in Belgrad versteckte, sechs Monate vor der Festnahme im Juli 2008 gekannt, heißt es unter Berufung auf einen Berater des serbischen Innenministers Ivica Dacic. Bulatovic sei wegen seiner Nähe zum national-konservativen Premier Vojislav Kostunica untätig geblieben. Als Bulatovic nach der Wahlniederlage Kostunicas des Amtes enthoben worden sei, habe er seine Meinung geändert, und wollte den Tipp über Karadzic im Gegenzug für einen Botschafterposten in Syrien preisgeben. (APA)