Eva Schlegel vor und unter ihrer imposanten Deckenskulptur aus 800 Wetterballons.

Foto: Wolfgang Woessner/MAK

Fliegen oder Fallen: Für ihre Installation aus Flugzeugrotoren und Filmprojektionen hat Eva Schlegel unter anderem Menschen in einer 15 Meter hohen Luftsäule gefilmt.

Foto: Eva Schlegel

Wien - So ist das üblicherweise in Museen: dezente Schnüre und Kordeln schützen die Kunst vor Taps- und Tastgelüsten des Publikums. Üblicherweise. Im Mak nicht. Da schützt in der großen Ausstellungshalle eine massive Baustellenabsperrung nicht die Kunst vor den Besuchern, sondern die Besucher vor der Kunst. Denn eine Installation von Eva Schlegel ist lebensgefährlich. Außerdem enervierend laut. Gleichzeitig aber von vollendeter Poesie. Von geradezu tödlicher Leichtigkeit. Schön bedrohlich, sozusagen.

Die Installation: Drei Flugzeugrotoren mit einem Durchmesser von fast vier Metern drehen sich unter ohrenbetäubendem Getöse. So schnell, dass sie wie überdimensionierte, im Raum schwebende CDs aussehen. Darauf werden, in minutiöser Präzisionsarbeit, Filme projiziert; und alles, was fliegen kann, fliegt: Menschen zum Beispiel, Eva Schlegel hat die Skydiver in Zürich in einer 15 Meter hohen Luftsäule gefilmt; der Newton'sche Apfel; Vogelschwärme; Ballons, die irgendwann platzen, weil sie, was man allerdings nicht sieht, für den Film von Jägern abgeschossen wurden. Seltsame Formationen mäandern über die rasend schnell rotierenden Bildträger; und zwischendurch Zitate von Kosmonauten und Astronauten über ihre Weltraumerfahrungen: "Wenn man bei dieser Geschwindigkeit auch nur den kleinsten Fehler macht und von der Station getrennt wird, treibst ab, und dann bist du verloren, nichts kann dich mehr retten."

Weltraumflug, Parabelflug, alle Phänomene des Fliegens hat Eva Schlegel für ihre Ausstellung im Mak recherchiert; auch die spektakulären Selbstversuche des niederländischen Künstlers Bas Ian Ader über das Loslassen und Scheitern; seit seinem letzten Experiment im Jahr 1976, The Search of the Miraculous, als er mit einem kleinen Segelboot von Massachusetts nach England aufbrach, gilt er als verschollen.

"Das Experiment, die wissenschaftliche Forschung" , sagt die 50jährige Künstlerin, "haben mich immer interessiert. Ich habe immer versucht, Grenzen aufzureißen." Immer. Und so ist diese Flugzeugrotoren-Installation auch ein Rückgriff auf ihre Diplomarbeit:

Damals filmte Schlegel einen Ventilator mit Super acht: laufend, ganz schnell laufend, stehend, machte daraus eine Endlosschleife und projizierte diesen Film auf den Ventilator. Den wiederum schloss sie an einen Unterbrecher an: Der langsamer werdende Ventilator zerhackte das Filmbild, wurde er schneller, fügte sich das Bild wieder zum Ganzen, Er.

Nun sind 25 Jahre vergangen; In Between ist der Ventilator erwachsen geworden. Gegenarbeit zu den imposanten Flugzeugrotoren ist die nicht minder überwältigende, amorphe Deckenskulptur aus 800 Wetterballons. Cremige Riesenkugeln, Froschlaichen gleich, hängen vom Plafond, eng an eng, riesig einige und die anderen geradezu handlich klein, propfen den Durchgang zu einem der Nebenflügel zu. Hier darf sich der Betrachter ungehindert der Kunst nähern, mehr noch: Er ist Teil des Kunstwerks. Wie Wetterballons die Erde filmen, so filmt hier eine Kamera den Besucher. Und der kann sein Abbild beobachten, wie es über den Boden wandert; kann zuschauen, wie es explodiert, sich in Nichts auflöst.

Paradoxe Auslassungen

Das Flüchtige und sich Verflüchtigende, Schärfe, Unschärfe, An- und Abwesenheit, sind jene Gegensatzpaare, die Schlegel seit ihren Studientagen an der Universität für angewandte Kunst in der Klasse Oberhuber beschäftigen. Etwa bei ihren Untersuchungen an Frauen, die sie in einem Seitenflügel sehr ästhetisch arrangiert hat: Seit 2001 entzieht sie den geschönten Frauenbildern in den Medien jegliche personalisierende Informationen. Macht sie unscharf.

Die gleichformatigen Spiegel, die sie an der gegenüberliegenden Wand angebracht hat, verleiten (vor allem wohl das weibliche Publikum) zur Überprüfung, ob und inwieweit diese stereotypen Frauenideale als Maßstab gelten.

Tresor für Pornofotos

Denkmusterzerstörung. Offenlegen durch Verschleiern. Den Blick schärfen für das Dahinter. Paradoxe Auslassungen. Tabubruch. Vom Raum mit den geschönten Frauenbildern durch die zentrale Rotoreninstallation getrennt, steht in einem anderen Raum ein Kubus aus Bleiplatten: Als bleiernen Tresor für eine aus den 1990ern stammende Serie von Hardcore-Pornofotos. Sukzessive hat sie die authentischen Fotos mit bis zu vierzig Schichten Lack überzogen.

Zwei Jahre hat die gebürtige Tirolerin die Ausstellung entwickelt, mit geradezu wissenschaftlicher Präzision. "Das Risiko eines so großen Projektes bewegt und beschäftigt einen bei der künstlerischen Praxis" , sagt Schlegel. "Man weiß nicht: Fliegt man, fällt man." Nimmt man Fliegen und Fallen als Synonym für Scheitern und Gelingen, so ist die Mak-Ausstellung ganz gewiss ein radikaler, kompromissloser, sehr gelungener Höhenflug. (Andrea Schurian, DER STANDARD - Printausgabe, 7./8. Dezember 2010)