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Wurde am Flughafen von der chinesischen Polizei an der Ausreise gehindert: Der Konzeptkünstler Ai Weiwei wollte nach Seoul, um dann weiter nach Berlin zu fliegen.

Foto: APA/Andy Wong

Chinas Konzeptkünstler Ai Weiwei hatte die Passkontrolle hinter sich und saß abflugbereit am Pekinger Flughafen. Er war auf den Flug nach Seoul gebucht, wollte von dort weiter zu Ausstellungsbesprechungen nach Berlin, Kiew und Dänemark, als eine Polizistin auf ihn zukam. Sie stellte sich als Zhang Hongmei vor. Ob sie seinen Pass noch einmal sehen könnte, es gebe ein technisches Problem. Der 53-Jährige fragte direkt, ob sie ihm verbieten wollte, auszureisen. Das bejahte sie. Als er den Grund wissen wollte, bekam er einen Zettel gezeigt, der nicht vom Gericht, sondern von der Polizeistelle Peking ausgestellt war. Seine Ausreise würde die Sicherheit des Staates gefährden. Ai Weiwei holte seinen Koffer wieder ab.

Eine Woche vor der feierlichen Nobelpreisvergabe in Norwegen macht China seine Grenzen dicht. Es reicht nicht, dass Peking weder den zu elf Jahren Haft verurteilten Preisträger Liu Xiaobo noch seine unter Hausarrest gestellte Frau Liu Xia nach Oslo fahren lässt. Es will auch kein Publikum bei der Feier sehen. Alle Chinesen, von denen die Behörden vermuten, dass sie am 10. Dezember mit im Festsaal sitzen wollten, wenn der Bürgerrechtler in erzwungener Abwesenheit geehrt wird, werden vorsichtshalber an der Ausreise gehindert. Es ist auch gleich, dass die Reise von Ai Weiwei seit einem Jahr geplant war. Allein der Verdacht, er könnte nach Oslo fahren, genügte. Stunden zuvor war auch dem renommierten Ökonomen Mao Yushi verboten worden, nach Singapur auszureisen, um an einer Konferenz über die wasserwirtschaftliche Zusammenarbeit in der Himalayaregion teilzunehmen. "Die Flughafenpolizei stoppte mich. Meine Ausreise gefährde die Staatssicherheit."

Erinnerung an böse Tage

Aufgeregt schrieb der 81-jährige Mao in seinen Blog: "Das erinnert mich an die Kulturrevolution. Damals wurde meine Wohnung durchsucht, meiner Frau die Haare geschoren und ich ausgepeitscht und aus der Wohnung geworfen. Sie nannten mich ein gefährliches Element. Jetzt sagt man wieder, ich sei eine Gefahr für den Staat." Mao Yushi gehört zu den über 300 Unterzeichnern des Freiheitsmanifests "Charta 08", für dessen Forderungen nach Gewaltenteilung der Hauptverfasser Liu Xiaobo elf Jahren Haft bekam.

Peking hat alle Unterzeichner der "Charta 08", Unterstützer und Verwandte Lius, sowie öffentliche Kritiker seines extremen Urteils auf schwarze Listen gesetzt. Auf ihr stehen Anwälte wie Mo Shaoping oder Hochschullehrer wie He Weifang, die auf dem Weg zu einer Juristenkonferenz in London am Flugplatz wieder zurückgeschickt wurden. Mehr als ein Dutzend solcher Fälle sind bekannt geworden. Anwalt Liu Xiaoyuan, der nicht zum Symposium nach Japan ausreisen durfte, schrieb im Blog, dass er sich bei der Polizei beschwert hat. Sie habe kein Recht, Ausreisen zu verbieten.

Viele Dutzende, die wie Liu Xiaobos Frau Liu Xia oder Autor Yu Jie seit der Nobelpreisvergabe unter Hausarrest gestellt wurden, können sich nicht einmal telefonisch beschweren, da sie auch noch unter Kontaktsperre stehen. Pekings Behörden scheint jedes Mittel recht, eine Solidarisierung mit Liu Xiaobo innerhalb Chinas zu verhindern. Unter Verweis darauf, dass dieser ein verurteilter Verbrecher sei, versucht das Außenministerium ausländische Journalisten abzuschrecken, über die Kampagne zu berichten.

Chinas Diplomaten wirken auf Vertreter ausländischer Botschaften in Norwegen ein, der Festveranstaltung fernzubleiben. Das Osloer Nobelpreiskomitee hat sich darauf eingestellt, dass es den Festakt für Liu Xiaobo vor einem leeren Stuhl veranstalten müssen wird. Es erwartet aber einen vollen Festsaal. Die Vorbereitungen für die Feier sind in vollem Gang. Die norwegische Schauspielerin Liv Ullmann soll dabei Reden und Texte von Liu Xiaobo vortragen.

Belastete Beziehungen

Inzwischen weitet Peking seinen Druck auch auf das Zwischenstaatliche aus. Die Sprecherin des Außenministeriums Jiang Yu warnte Norwegens Regierung vor Schaden für das bilaterale Verhältnis. "Es ist schwierig, die beiderseitigen Beziehungen so gut wie früher zu erhalten, nachdem die norwegische Regierung öffentlich die Vergabe des Friedensnobelpreises an einen verurteilten Kriminellen unterstützt hat." Man könne es chinesischen Stellen nicht verdenken, wenn sie "Zweifel am normalen bilateralen Austausch und der Kooperation mit Norwegen hegen".

Die Pekinger Global Times erinnerte an den ausgesetzten Abschluss eines Freihandelsabkommens und zitierte einen Akademiker. Länder, die mit Absicht den Interessen Chinas schadeten, müssten mit "politischen Bestrafungen" rechnen. Künstler Ai Weiwei twitterte nach seiner Zurückweisung an seine Freunde, dass er wieder in seinem Atelier ist. "Bevor ich vom Flughafen nach Haus fuhr, fragte ich die Polizistin, bis wann eigentlich mein Ausreiseverbot gilt. Sie antwortete: 'Ich weiß es nicht.'" (Johnny Erling, DER STANDARD - Printausgabe, 7./8. Dezember 2010)