Budget-Murks, Abschiebung integrierter Kinder und so weiter, all das verunsichert nicht nur "die Menschen draußen". Auch Barbara Coudenhove-Kalergi meint, im Land herrsche zwar "eine Sehnsucht nach Erneuerung", aber es fehle halt ein Kreisky: "Die Alternative heißt Strache."
Hans Winkler treibt in einem Presse-Kommentar anderes um. Er tut sich sichtlich schwer mit der rot-grünen Ansage in Wien und bemüht "schwarze Legenden" von 2003: Die Wiener Grünen hätten Schwarz-Grün im Bund zu Fall gebracht, "weil sie überhaupt gegen eine Verbindung mit der ÖVP waren". Aber was treibt den schwarzen Vor- und Nachdenker im Spätherbst so auf die Palme? Spürt er gar einen "wind of change", eine politische Option ohne die ÖVP? Wo doch nur die Schwarzen das Recht haben, sich in aufopfernder Hingabe für das Land alle Optionen offenzuhalten - die blau-braunen Schmuddelkinder, die "roten Gfrieser" oder die "wunderschönen" grünen "Marxistinnen".
Eine Regierung ohne ÖVP? Durchaus möglich. Wien könnte ein Gegenentwurf für die ganze Republik werden: eine moderne Bildungspolitik, die allen Kindern eine Chance gibt, ganztägige Möglichkeiten zum Lernen und Spielen schafft und nicht neuneinhalbjährige Kinder in "gute" und "schlechte" trennt. Eine menschenwürdige Asylpolitik, die einem nicht die Schamesröte ins Gesicht treibt. Mehr Gerechtigkeit im Steuersystem.
Rot und Grün sind sich in diesen Fragen sehr nahe. Noch sprechen die Umfragewerte gegen eine Koalition: Die SPÖ liegt bei gut 30 Prozent, die Grünen wären mit knapp 15 Prozent überglücklich - aber gar so weit von einer Mehrheit sind sie nicht entfernt.
Es gilt, größeres Vertrauen für eine Reform-Koalition zu gewinnen. Yes, we can! Glaubwürdigkeit ist unser höchstes Gut, die Gewissheit, dass nach der Wahl das gilt, was vorher versprochen wurde. Und selbstkritisch füge ich hinzu: Ein Wechsel von Alexander Van der Bellen in den Wiener Gemeinderat hätte diese Glaubwürdigkeit gestärkt.
In einem Punkt aber sind wir der blau-orange-schwarz-roten "Konkurrenz" meilenweit voraus. Egal ob in Oberösterreich, Graz oder Bregenz: Es gibt keine grüne Korruption, keinen grünen Grasser, keine Alt- und Neonazis, keine dubiosen Waffenhändler.
Nein, Frau Coudenhove-Kalergi: Die Alternative zum lähmenden rot-schwarzen Stillstand heißt nicht Strache. Die Alternative ist eine Reformkoalition mit den Grünen. (Harald Walser, DER STANDARD, Printausgabe, 2.12.2010)