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Karl Aiginger: "Die Iren bringen ein gewisses Verständnis für die Sparmaßnahmen auf. Einkommensmäßig ist Irland immer noch das reichste Land Europas."

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Irland ist das zweite Land Europas, das EU-Hilfen anzapft. Nach Griechenland winkten nun die EU-Finanzminister 85 Milliarden Euro für die grüne Insel durch.

Warum die Rettungs-Strategie bei den Iren besser greifen wird als bei den Griechen, wie man die Finanzmärkte beruhigen und wer im Krisenfall zur Kasse gebeten werden soll, erklärt der Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), Karl Aiginger, im Interview - und wagt gleichzeitig einen Blick auf künftige Rettungsschirme.

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derStandard.at: Als Griechenland mit EU-Geldern gerettet werden musste, war die Empörung groß. Als Irland pleite ging, hatten alle Mitleid. Warum eigentlich?

Karl Aiginger: Im Unterschied zu Griechenland agierte Irland nicht mit falschen Zahlen. Die Probleme traten nach einem sehr langen und kräftigen Aufschwung auf, der Irland zuvor an die Spitze der europäischen Pro-Kopf-Einkommen geführt hatte. So gesehen ist Irland ein Erfolgsmodell - aufgebaut auf starken, gut verwendeten EU-Regionalprogrammen. Die Ansiedlungen wurden kombiniert mit endogenen Qualifikationen. Irland ist dann durch einige Ungleichgewichte in die Krise geraten.

derStandard.at: Die da wären?

Aiginger: 15 Jahre hohes Wachstum haben dazu geführt, dass jeder glaubte, jedes Grundstück sei zu verwerten, jedes Wohn- oder jedes Bürogebäude sei gefragt, und die Preise von Immobilien werden ewig steigen. Zur Immobilienblase beigetragen hat auch, dass die Banken und andere Finanzinstitutionen sehr billige Kredite zur Verfügung stellten.

derStandard.at: Was zum Bumerang wurde...

Aiginger: ...Der Finanzsektor gab zu viele Kredite an die Bauwirtschaft - ein sehr einseitiges Exposure, denn mit dem Platzen der Immobilienblase gerieten die Banken in einen Sog von Schwierigkeiten. Denn zusätzlich - und das ist etwas kritischer zu sehen - war Irland für ausländische Banken-Engagements bekanntermaßen äußerst attraktiv. "Schattenbanken", bei denen ausländische Firmen nicht in ihrer eigenen Bank, sondern in einer Sonderkonstruktion Kredite und Investmentvehikel geparkt haben, fanden in Irland reiche Betätigung. Dies fiel letzten Endes auch den irischen Banken zur Last, indem toxische Papiere vor eifrigen Regulierern oder dem eigenen Aufsichtsrat versteckt wurden.

derStandard.at: Eine steuerliche Spielwiese?

Aiginger: Im Bankensektor hat Irland im europäischen, mehr noch, im weltweiten Spiel durch seine attraktiven steuerlichen Voraussetzungen durchaus mitgespielt. Der niedrige Körperschaftssteuersatz war ursprünglich dazu gedacht, um Realinvestitionen, d.h. Töchter multinationaler Industriekonzerne, nach Irland zu locken. Beides, die aufgeblasene Bauwirtschaft und der für das Land zu große Finanzsektor mit einem großen Anteil an riskanten Geschäften, führte schließlich zum Zusammenbruch.

derStandard.at: War das Problem nicht absehbar, und wie kann es am effizientesten gelöst werden?

Aiginger: Im Nachhinein ist man immer gescheiter. Das irische Bankenproblem ist nur so zu lösen wie das aller anderen europäischen Banken: Mit einer besseren Bankenaufsicht und größeren Rücklagen für alle Formen der Engagements inklusive jener, die anfänglich nicht nach Bankgeschäften aussehen. Wer ein Bankgeschäft betreibt, muss auch wie eine Bank reguliert sein und Mindestreserven halten.

derStandard.at: Wie realistisch ist die Umsetzung?

Aiginger: Die Umsetzung ist in Europa schrittweise - wenn auch zu langsam - bereits im Gang. Es gibt eine Struktur der systemischen Bankenaufsicht. Die Banken werden genauer, die höheren Rücklagen durch Basel III definiert. Gäbe es eine europa- oder weltweite Finanztransaktionssteuer, wären viele der riskanten Geschäfte Griechenlands zumindest teurer gewesen, und Irland müsste nicht die Umsatz- und Einkommenssteuer erhöhen.

derStandard.at: Die EU-Finanzminister haben das Hilfspaket von 85 Milliarden Euro für Irland abgesegnet. 17,5 Milliarden muss Irland aus Pensionsfonds und Bargeldreserven selbst berappen. Ist das realistisch?

Aiginger: Natürlich haben sich die handelnden Personen von Währungsfonds bis Finanzminister bei dieser Summe etwas gedacht. Irland muss nun eben Fonds anzapfen, die ursprünglich für andere Zwecke gedacht waren - aber das ist das Wesen eines Eigenbeitrags.

derStandard.at: Die Griechen wollten sich ihrem Schicksal nicht fügen und zettelten Straßenschlachten an. Denken Sie, dass es auch in Irland zu sozialen Unruhen kommen könnte?

Aiginger: Im Augenblick sieht es nicht danach aus. Die Iren bringen ein gewisses Verständnis für die Sparmaßnahmen auf. Allerdings haben sie auch einen gewissen Stolz, weil sie immer als Armenhaus Europas bezeichnet wurden und vom "großen Bruder" England oft herablassend behandelt wurden. Einkommensmäßig ist Irland heute das reichste Land Europas, das Pro-Kopf-Einkommen ist auch höher als in Großbritannien, auch nach der Krise. Natürlich ist es enger geworden. Der Rückgang des Wirtschaftswachstums betrug bis zum Tiefpunkt 14 Prozent, die Arbeitslosigkeit ist in den letzten drei Jahren von vier auf 14 Prozent angestiegen, daneben beobachten wir den Beginn einer leichten Netto-Auswanderung.

Historisch gesehen ist das nicht Neues, denn Irland war über lange Zeit ein Auswanderungsland, wurde in den letzten zehn Jahren ein Einwanderungsland und bewegt sich jetzt wieder in die andere Richtung. In diesen Dimensionen denken wohl auch die Iren: In einem erfolgreichen Aufholprozess waren sie unvorsichtig, jetzt muss eine Korrektur her.

derStandard.at: Wie hätte es ausgesehen, hätten die Euro-Staaten den Rettungsschirm zugeklappt und die Iren im Regen stehen gelassen?

Aiginger: Das wäre keine Option gewesen. Meiner Meinung nach muss man jedem Land in Europa Hilfestellung bieten, vor allem kleineren Staaten, wo Spekulationsgeschäfte stark im Vordergrund stehen. Man sollte sich vor Augen halten, dass einige US-amerikanische Bundesstaaten mindestens so schlecht dastehen wie die derzeit angeschlagenen vier europäischen Länder. Darüber spricht allerdings niemand.

derStandard.at: Der EU-Rettungsschirm ist also keine Scheinlösung?

Aiginger: Er ist eine notwendige Form der Absicherung. Ob man jedoch gleich von Rettung sprechen kann, sei dahingestellt. Irland war wie gesagt lange Zeit eine Muster-Ökonomie: Das Land erwirtschaftete zehn Jahre vor Beginn der Krise stets einen Budget-Überschuss - im Unterschied zu anderen Ländern. Irland kann auf eine sehr starke Industrie blicken, weist dazu einen Außenhandelsüberschuss auf. Die Krise selbst ist in Irland bisher realwirtschaftlich relativ gering ausgefallen und kann 2010 bereits wieder mit einem Wachstum durch Exporte und einer aktiven Außenhandelsbilanz aufwarten. Das ist ein großer Unterschied zu Griechenland, Portugal und Spanien, die alle unter einer defizitären Außenhandelsbilanz leiden, sprich, sie haben zu wenig produziert und sind zudem zu wenig konkurrenzfähig.

derStandard.at: Portugal könnte als nächstes Land EU-Hilfe beantragen, dann vielleicht Spanien und Belgien. Kommt jetzt ein Pleitekandidat nach dem anderen?

Aiginger: Ausschließen kann man natürlich nichts. Portugal hat sowohl ein hohes Budgetdefizit als auch eine zu kleine industrielle Basis und ist dadurch gefährdet. Auf der anderen Seite dürften die Banken nicht ganz so schlecht aufgestellt und die versteckten Probleme nicht so groß sein. Die Budgetkonsolidierung hat in Europa bereits schrittweise begonnen, ganz im Unterschied zu den USA, wo die Neuverschuldung höher und stärker steigend ist. Auch im Realsektor gibt es positive Nachrichten. Die Unternehmensbefragungen im November zeigten durch die Bank steigenden Optimismus, nicht so schlechte Voraussetzungen also, auch wenn die Lage gefährlich bleibt. Europa hat in den letzten Jahren den Schuldenproblemen und der Stabilität des Finanzsektors zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Daraus muss Europa lernen. Gelernt hat Europa bereits aus Griechenland: Die Irland-Krise wurde deutlich professioneller gemanagt.

derStandard.at: Was genau war daran professioneller?

Aiginger: Die EU hat sich nicht lange geziert, mehr noch, sie hat Irland zur Hilfsannahme gedrängt, und sich über deren anfänglichen Nationalstolz, Stichwort: "Wir brauchen keine Hilfe", hinweggesetzt. Die Richtung stimmt. Beispielsweise wurden bei einer irischen Bank schon die Anleihe-Besitzer mit zur Kasse gebeten, ein erster freiwilliger kleiner "haircut". Europa hat zudem festgelegt, dass bei zukünftigen Rettungen die Kreditgeber nach klar definierten Richtlinien verstärkt mit herangezogen werden. Das geschieht in sogenannten "Collective Action Clauses", also Richtlinien, wie Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten. Die Richtlinien werden dabei im Vorhinein festgelegt, damit bestehende Kredite nicht gefährdet werden. Sollte es zu Problemen in Portugal kommen, wird die Hilfe wieder ein Stück weiter professioneller ablaufen - noch früher und mit einer noch besseren Verteilung der Lasten.

derStandard.at: Besitzer von Staatsanleihen sollen künftig im Krisenfall auch zur Kasse gebeten werden. Von "Fall zu Fall", wie es heißt. Was versteht man darunter?

Aiginger: Würde man sagen, die Gläubiger werden sofort herangezogen, würde ein Verkauf aller Staatsanleihen einsetzen - noch bevor sie zur Kasse gebeten werden. Für vergangene Staatsanleihen wird das also nicht gelten. Für zukünftige kann man zwei Tranchen auflegen: Eine, die etwas günstiger ist für den, der die Anleihe begibt, dafür aber ein größeres Risiko im Fall bestimmter Indikatoren - wie zum Beispiel die Inanspruchnahme von Hilfe - trägt. Man hat die Wahl. Mit der Zeit sollte immer klarer werden, dass die Anleihebezieher mithaften, wenn es einen Risikofall gibt.

derStandard.at: Nun kann der EU-Rettungsschirm maximal 750 Milliarden Euro mobilisieren und gilt bis 2013. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, diesen mit einer längeren Laufzeit zu konstruieren?

Aiginger: Das ist eine Frage der politischen Zustimmung und wie viel man vorher weiß. Europäische Entscheidungen werden schließlich nicht von einem großen Staatsmann mit weiter Voraussicht getroffen, sondern von 15 bis 27 Regierungen. Für einen größeren Rettungsschirm hätte weder Zustimmung der Regierungen noch Bereitschaft der Kapitalmärkte in diesem kurzen Zeitraum erhalten. Und es gibt einen Vorteil seiner zeitlichen Befristung. Der vorläufige Rettungsschirm kann durch eine bessere Sicherungsarchitektur ersetzt werden. Wichtig dabei ist, dass die Entscheidungen der Regierungen vor den Entscheidungen der Finanzmärkte stehen. Mit anderen Worten: Man darf sich nicht von den Finanzmärkten treiben lassen, sondern muss sich den realen Problemen, die es zu lösen gilt, stellen, um - wenn man so will - immer am Pilotensessel zu bleiben.

derStandard.at: Die Finanzmärkte sind derzeit äußerst beunruhigt. Die Beruhigungspille Irland wirkt aktuell nur kurzfristig. Wie kann wieder Ruhe einkehren?

Aiginger: Zum einen durch klare Regeln und eine bessere Überwachung von Budgetungleichgewichten und Konkurrenzfähigkeit. Zum anderen durch Stabilitätsfonds oder Schutzschirme, höhere Risikoreserven und niedrigere Risikogrenzen für Banken und das Bewusstsein der Anleihebezieher, dass sie gegebenenfalls auch mit zur Kasse gebeten werden. Für mich wäre es jetzt der ideale Zeitpunkt, noch einmal über eine europäische Finanztransaktionssteuer nachzudenken. Bei der Rettung Irlands stand die Rettung des Bankensektors im Mittelpunkt. Für diese Rettung die Steuern für Konsum und Investitionen zu erhöhen und das Budgetdefizit durch rigorose Einsparungen zu senken macht die Probleme nicht leichter. Ich höre schon wieder Rating Agenturen, die sagen, dass Irland die Konsolidierung nicht schafft, weil es so stark sparen muss. Und Spekulanten freuen sich, dass die Märkte volatil sind.

Da wäre eine Finanztransaktionssteuer genau die richtige Antwort. Erstens, weil sie dazu führt, dass sich die Zahl der kurzfristigen Spekulationen verringert, zweitens ergeben sich Staatseinnahmen, ohne dass die Umsatzsteuer erhöht werden muss und Bildung, Forschung, Umwelt- und Sozialausgaben gekürzt werden müssen. Eine klassische Doppeldividende. Wenn Großbritannien das verhindert und gleichzeitig Geld fordert, damit die irischen Banken nicht für englische Banken gefährlich werden, dann sollen sie aufhören, die beste Lösung zu verhindern.

derStandard.at: Skeptiker sehen den Euro schon den Bach hinuntergehen.

Aiginger: Sicher nicht. Europa hat bei der Verschuldung keine schlechteren Daten als die USA. Die USA werden noch viel größere Probleme haben, ihr Budgetdefizit zu reduzieren. Sie haben damit im Grunde ja noch nicht einmal begonnen. Die Länder mit den ganz großen Problemen in Europa dagegen haben bereits Konsolidierungsvorstellungen. Europa ist in der künftigen Budgetstruktur besser gestellt als beispielsweise Kalifornien.

derStandard.at: Wo wird sich der Euro mittelfristig einpendeln?

Aiginger: Von den Fundamentaldaten ist tendenziell zu erwarten, dass der Euro gegenüber dem Dollar gewinnen wird. Außenhandels- und Budgetdefizit sind in den USA größer als in Europa. Darüber hinaus wollen die USA, dass ihre Währung abwertet - wenn auch nicht so sehr gegenüber dem Euro, sondern gegenüber dem chinesischen Yuan. Mit unseren Währungsrelationen in Europa können wir im Augenblick eigentlich zufrieden sein.

derStandard.at: Wie geht es weiter mit den irischen Banken?

Aiginger: Die irischen Banken sind mittlerweile verstaatlicht. Das heißt, es ist Aufgabe des Staates, sie so zu restrukturieren, dass sie wieder privatisiert werden können.

derStandard.at: Wie stehen die Chancen des Staates, die Banken wieder hochzupäppeln?

Aiginger: Das ist immer noch in jedem Land gelungen. Die Frage ist, wie viel man dafür zahlt und wie viel man danach dafür zurück bekommt. Das irische Bankensystem wird in drei bis fünf Jahren wieder intakt sein. Allerdings mit deutlich weniger Banken als heute (was aus Konkurrenzsicht dann auch ein Problem ist). Die Konsolidierungsanstrengung wird bei einem Budgetdefizit von 32 Prozent in Irland dabei natürlich alles andere als gering sein. Bis 2015 sollen die Iren laut Programm wieder auf ein Budgetdefizit von zwei Prozent kommen. Abhängig ist der Erfolg neben dem Sparpaket natürlich auch von der Entwicklung der europäischen Konjunktur. Es ist schwer zu konsolidieren, wenn man die Exporte nicht steigern kann.

derStandard.at: Rund 80 Prozent der Wirtschaft in Irland hängen vom Export ab. Das Sparpaket nimmt daher eine Erhöhung der Körperschaftssteuer bewusst aus.

Aiginger: Genau. Nicht alle europäischen Regierungen waren damit anfangs einverstanden, im reichsten Land Europas diesen niedrigen Steuersatz zu belassen, wobei sie langfristig nicht ganz unrecht haben. Andererseits wäre es kontraproduktiv, diesen mitten in der Krise zu erhöhen, sodass Firmen abziehen. Die Exporte sind in Irland während der Krise wesentlich weniger gesunken als in anderen Ländern. Das liegt unter anderem an der Chemie- und Pharmaindustrie, die nicht so stark von der Weltwirtschaftskrise betroffen war. Sinnvoll wäre möglicherweise eine Anpassung an ähnliche europäische Körperschaftssteuersätze in den nächsten fünf bis zehn Jahren.

derStandard.at: Österreich stellt 600 bis 800 Millionen Euro an Haftungen für Irland zur Verfügung. Was bedeutet das konkret? Wird es auch in Österreich ein Sparpaket geben?

Aiginger: Die Wahrscheinlichkeit, dass Österreich irgendetwas zahlt, ist sehr gering. Im hier skizzierten Normalfall, dass die EU den Schutzschirm über die jeweils schwächste Region aufspannt plus einem Programm, das diese Region wieder auf Kurs bringt, finden keine Zahlungen aus Österreich statt. Nur für den - unwahrscheinlichen - Fall, dass die Rettung in einem dieser Länder nicht gelingt, wären die Haftungen fällig. Verglichen mit den Haftungen, die die Regierung für die Hypo Alpe Adria übernommen hat, sind das hier allerdings kleine Beträge. Und die Beträge, die aus einer minimalen Finanztransaktionssteuer gewonnen werden könnten, sind wesentlich größer. (Sigrid Schamall)