Guido Gluschitsch begleitete das Alpen-Team bei der BMW GS-Trophy
2010 in Südafrika. An Tag drei geht es am durch eine dreißig Kilometer lange Tiefsand-Sektion.
-> derStandard.at/AutoMobil auf Facebook .
In dieser Galerie: 19 Bilder
Ich hab das Gefühl, es bald geschafft zu haben. Es ist nicht mehr weit
ins Ziel. Zwar nicht in jenes, in dem wir heute die Zelte aufschlagen
werden, sondern in das, wo eine Wolke mit Lenker und Gasgriff mein neues
Bett wird. Ich hab die 800er GS inzwischen sicher zehn Mal aufgehoben.
Jedes Mal geht es schwerer. Dabei ist der Sand, in dem ich stehe, so
tief, dass die BMW von alleine eh fast nicht umfällt.
Eine geschlagene Stunde packel und zah ich jetzt schon herum und bin
gerade einmal 200, vielleicht 300 Meter weit gekommen. Nur noch 30
Kilometer Tiefsand liegen vor mir. Mein Team hab ich vorgeschickt.
Eigentlich habe ich sie zum Teufel geschickt. Ich habe ihnen gesagt,
dass ich aufgebe, sie fahren sollen. Irgendein Truck wird mich schon
aufpicken. Der letzte Checkpoint mit der kompletten BMW-Crew ist ja noch
zu sehen, und obwohl er außer Rufweite ist, bin ich sicher, dass sie
mich dort schnaufen hören.
Mein Wasserrucksack wird langsam leer, dafür schmeckt das Wasser extrem
knusprig, weil ich bei ein paar der Stürze ein maulvoll Weg inhaliert
habe. Vermutlich hab ich mir auch einmal beim Wiederaufstellen die GS
auf der Zunge geparkt. Es hat fast vierzig Grad im Schatten, sagt die
Armatur der BMW. Keine Ahnung, wie das Radl das wissen will. Hier gibt
es weit und breit keinen Schatten.
Endlich kommt einer der Marschalls zu mir. Meine GS steht inzwischen
schon quer zur Fahrtrichtung. Die halbe Drehung zurück zum Checkpoint
habe ich geschafft. Den Marschall wird es freuen, wenn er nicht mehr so
viel arbeiten muss, um die Enduro zurück zum Checkpoint zu bringen.
Dorthin, wo die Trucks und Anhänger stehen. Und die Journalisten, die
bereits aufgegeben haben.
Jan, der Marschall, schaut mir in die glasigen Augen, fragt, ob alles OK
ist, und bevor ich noch antworten kann, sitzt er schon auf der GS. Er
reißt sie an und reißt sie rum. Doch Moment. Was macht er da? Er stellt
sie wieder in Fahrtrichtung auf und meint: „Da geht‘s entlang, Bursche.
Wir sehen uns am Abend."
Mastermind Tomm Wolf hat schon bei der Fahrerbesprechung in der Früh
gesagt, dass es nur einen Weg ins Tagesziel gibt. Keine Alternativroute.
Nichts. Ich setz mich auf den Bock, zuzel noch einmal an meinem
Wassertank, bis er knistert, und denk mir: "Na gut, dann verreck ich
halt da." Es ist inzwischen 16:00 Uhr, und um 18:00 Uhr sollte ich im
Lager sein, denn wenn es finster wird, hast du hier sowieso keine Chance
mehr.
Ich kämpfe mich weiter durch den tiefen Sand und verfluche mich, weil
ich hier überhaupt dabei bin. Daheim ist alles besser. Die Tastatur hat
mich noch nie abgeworfen. Verdammter Idiot ich.
Ich stell gerade wieder einmal die GS auf. Vor mir gehen drei Wege
auseinander. Ich habe keine Ahnung, welcher der ins Lager ist. Von den
anderen Fahrern ist nichts zu sehen. Während ich mir den Sand aus der
Kombi in die Unterhose klopfe, kommt ein GS Trophy Truck vorbei. Einer
ohne Hänger. Drinnen sitzt Tourarzt Axel. Ich hänge mich an den Truck an – wo der fährt, komme ich locker durch, meine ich.
Als Axel merkt, dass ich mich angehängt habe und nach jedem Sturz wieder
aufschließe, lässt er den Wagen anhalten. Er bringt mir Wasser, redet
mir gut zu und sagt: "Es sind nur mehr drei Kilometer". Wahnsinn, habe
ich inzwischen 27 Kilometer geschafft?
Blödsinn. Es waren drei Kilometer bis zu irgendeinem x-beliebigen
Strauch. Von dort waren es dann noch einmal 20 Kilometer bis ins Ziel.
Aber die Idee, bald da zu sein, hat mich durchhalten lassen. Und am Ende
war ich sogar vor dem Alps-Team im Lager. An einer der unzähligen
Gabelungen muss ich sie überholt haben, denn Bernhard erzählt mir am
Abend: "Es war schwierig, aber ein echtes Erlebnis. Nur wir haben so
viele Pausen gemacht..." Und bei einer solchen dürfte ich an ihnen
vorbei sein.
Die Burschen haben die Etappe wieder ganz locker weggesteckt, obwohl sie
um halb sechs in der Früh aufstehen mussten, wir alle zuvor wieder wie
die Gestörten über Schotterpisten hobelten und stundenlang nach Mosambik
einreisten.
Von der mörderischen Sonderprüfung ganz zu schweigen. Die Fußrasten
zweier GSn werden mit einem Schleppgurt verbunden. Auf der Zugmaschine
sitzt Bernhard. Und der muss Christoph – er sitzt auf der zweiten BMW,
deren Motor nicht rennt – über eine Strecke von vier Kilometer ziehen.
Natürlich geht es um Zeit, und selbstredend ist die Passage mit
Schlammlöchern, Querrillen und Auffahrten gespickt. Die Burschen reißen
zu zweit aber so an, dass ich, obwohl ich nichts ziehen muss, nicht
nachkomme.
"Ich habe immer wieder geschaut, ob du eh noch dranhängst", erklärt
Bernhard im Ziel, warum er sich öfter zu Christoph umgedreht hat. Der
hat das aber gar nicht bemerkt. "Ich hab nur gesehen, dass sich dein
Hinterrad dauernd durchdreht, so hast du da rauf Gas gegeben." Das
Alps-Team fährt bei der Sonderprüfung die zweitschnellste Zeit heraus
und wird am Abend in der Gesamtwertung einen gewaltigen Sprung nach
vorne machen.
Nur das Nordic Team ist noch schneller und gewinnt mit einem
unglaublichen Vorsprung. Den zerstrittenen Italienern wird ihr fehlender
Teamgeist zum Verhängnis. Sie sind zwar unglaublich schnell, crashen
aber kurz vor dem Ziel zusammen und verlieren wertvolle Sekunden, über
die sie am Abend wieder streiten können.
Einen bösen Sturz baute ein Spanier. Weil ihm ein Auto entgegenkam,
musste er ins Gemüse abbiegen. Nur dort waren keine Butterhäupl, sondern
große Felsbrocken. Bernhard, der hinter dem Spanier fuhr, erzählt: „Ich
hab immer wieder nur den Helm aus dem Graben auftauchen gesehen. Der
ist dort sicher mit einem Hunderter von der Strecke geflogen. Ein echtes
Wunder, dass ihm außer einer Schürfwunde nichts passiert ist."
Nur das
Getriebe der BMW hat sich mit den Steinen nicht ganz einig werden
können, wer nachgibt. Aber außer dem defekten Getriebe und einer
verbogenen Felge schaute die GS nicht viel anders aus als vorher.
Sein Getriebe hat auch ein Japaner überstrapaziert. Noch in der Nacht
repariert das Team den leichten Defekt. Und auch nicht ganz schadlos
kommt Johannes aus dem Sand. Er hat sich bei einem Sturz den Fuß böse
verdreht und heißt jetzt Humpelstilzchen.
Bernhard hat sich die Fußraste in die Wade gerammt. Aber als am Abend
das Unwetter aufzieht, ist das alles egal. Am frühen Abend schlafen alle
in ihren Zelten. Niemand hatte auch nur ein Auge für das Meer im
Sonnenuntergang, an dem wir die Zelte aufgeschlagen haben.