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Technikfolgenexperte Torgersen: "Wissenschaft ist vielen Österreichern einfach wurscht."

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In Sachen Technologie war man in Österreich immer schon etwas eigen: Zuerst baute man ein Kernkraftwerk, dann wurde es per Volksentscheid stillgelegt. Die Verdammung von Gentechnik ist längst eine parteiübergreifende Ersatzreligion. Und die einzige regelmäßige Wissenschafts- und Technologiesendung, die der ORF im Hauptabendprogramm ausstrahlte, hieß "Modern Times" - genau so wie der technikkritische Klassiker von Charlie Chaplin aus dem Jahr 1936.

Die jüngste Bestätigung dieses österreichischen Sonderwegs in Technologiefragen liefert die jüngste Eurobarometer-Umfrage. Für sie wurde in 32 Ländern Europas (inklusive Schweiz, Türkei u. a.) erfragt, ob die Bevölkerung einer Reihe von Technologien zutraut, in den nächsten 20 Jahren das Leben zu verbessern.

Breiteste Front der Skeptiker

Das Resultat aus heimischer Perspektive: Österreich ist nicht nur Europameister bei Geringschätzung von Grundlagenforschung (Der Standard berichtete), sondern auch bei der Technologieskepsis: "Zwar wurden einzelne Technologien anderswo ähnlich kritisch beurteilt", sagt Helge Torgersen vom Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). "Aber nirgendwo auf so breiter Front."

Konkret abgefragt wurden die Erwartungen unter anderem in Solarenergie, Windenergie, in Computer- und Informationstechnologien, in Nanotechnologie, Biotechnologie und Genetik sowie in Kernenergie. Dass Herr und Frau Österreicher die Biotechnologie oder Kernenergie besonders skeptisch betrachten, kam für Torgersen nicht weiter überraschend, der seit vielen Jahren die Haltung der Österreicher in Sachen Gentechnik beobachtet.

Allein, auch an Computer- und Informationstechnologien oder Raumfahrt finden die Österreicher wenig Gefallen. "Und mit Griechenland teilen wir uns den vorletzten Platz bezüglich Nanotechnologie."

Besonders reserviert zeigt man sich in Österreich hinsichtlich biomedizinischer Technologie: Auch bei der Hirnforschung oder bei der synthetischen Biologie, über die Torgersen gerade ein Projekt laufen hatte, lagen die Zustimmungsraten in Österreich weit unter dem europäischen Durchschnitt.

"Die Forschung an Stammzellen wurde überhaupt abgelehnt", so der Technikfolgenexperte, "gegenüber Bio-Treibstoffen war man nur in vier Ländern skeptischer." Immerhin sind wir bei der Haltung zu gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln mittlerweile in der europäischen Normalität angelangt: "In fast allen Ländern Europas ist man inzwischen ähnlich skeptisch wie in Österreich."

Neben der Skepsis ist die heimische Bevölkerung aber auch bei der technologischen Uninformiertheit ganz vorne: "Im europäischen Vergleich gaben besonders viele Österreicher an, wenig über Technologien erfahren zu haben", sagt Torgersen. "Sogar über Gentechnik in Nahrungsmitteln fühlen sie sich schlechter informiert als Bürger vieler anderer Länder."

Würde mehr Wissen über Technologie zu einer positiveren Haltung führen? Da ist wiederum Torgersen skeptisch, denn ein Zusammenhang zwischen Unwissen und Ablehnung lasse sich durch keine der einschlägigen Studien belegen - so auch nicht durch diese: Die Technologien lösen bei Frau und Herrn Österreicher laut Eurobarometer-Umfrage nämlich keine allzu großen Befürchtungen aus: "Man assoziiert mit den Technologien durchaus Hoffnungen auf Gesundheit, Wohlstand, berufliches Vorankommen."

Wurschtigkeit statt Kritik

Für Torgersen passen diese Befunde zu einer Vielzahl anderer Untersuchungen, die den Schluss nahelegen, dass Österreich kein genuin wissenschafts- oder technologiekritisches Land ist. "Vielmehr ist Wissenschaft vielen Österreichern einfach wurscht."

Vor diesem Hintergrund ist es für den Technikfolgenexperten nur logisch, dass in diesen Bereichen beim Budget gespart wird. "Und weil die Krone das Ohr am Volk hat, ist nennenswerter Widerstand nicht zu befürchten", meint Torgersen, "jedenfalls keiner, den die Tagespolitik ernst nehmen müsste." (Klaus Taschwer /DER STANDARD, Printausgabe, 01.12.2010)