"Heute Nacht bin ich wieder vier Stunden im Kreis gegangen. Es geht mir schlecht. Ich habe echte Existenzängste", sagt Sonja Pessl im Gespräch mit derStandard.at. Seit über vier Jahren ist sie als Tagesmutter tätig. Noch im Sommer konnte sie von ihrem Gehalt gut leben, das monatlich bei durchschnittlich 1.300 Euro netto lag. Von Montag bis Freitag betreute sie jeweils fünf Kinder in der Zeit von 8 bis 16 Uhr. Auch jetzt betreut sie Kinder im gleichen Zeitraum. Die Organisation bei der sie angestellt ist, überweist ihr derzeit jedoch wesentlich weniger. Mit 817 Euro netto die sie etwa im November verdient hat, schrammt sie knapp am Existenzminimum vorbei.

Mehr Kinder, mehr Betreuungsstunden, mehr Cash

Der Grund für den Verdienstrückgang ist, dass Sonja Pessl heute nicht mehr voll ausgelastet ist. In Wien dürfen Tagesmütter bis zu fünf Kinder gleichzeitig in ihrer Wohnung betreuen. Bezahlt werden sie nicht, so wie das in den meisten Arbeitsverhältnissen üblich ist, nach Arbeitszeit sondern nach der Stückzahl der Kinder, die sie betreuen. Je mehr Betreuungsstunden geleistet werden, desto höher der Lohn.

Die letzte Generation ihrer Tageskinder hat sich größtenteils in den Kindergarten verabschiedet. Noch dazu ist Pessl im Sommer umgezogen. Im September, als ihre "neuen" Kinder eingewöhnt wurden, war sie optimistisch. Dass es selbst in Wien, wo es an Kinderbetreuungsplätzen fehlt, schwer sein kann, Tageskinder zu bekommen, musste Pessl dann erfahren: Kinder, deren Eltern plötzlich umgezogen sind, Kinder, die sich in der Eingewöhnungsphase von ihren Eltern nicht trennen wollten oder Eltern, die nun doch nicht ihr Kind bei einer Tagesmutter abgeben wollten, sorgten schließlich auch für Turbulenzen im Haushaltsbudget.

"So wie es ist, ist es ein Desaster"

Übrig geblieben sind letztlich zwei Kinder von der alten Garde, eines davon kommt täglich, eines an zwei Tagen. Ein Kind kommt 35 Stunden pro Woche, zwei Kinder für drei Tage. "Wenn ich nicht mein Sparbuch hätte und mir mein Stiefvater helfen würde, könnte ich meinen Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten". Pessl ist Mutter einer zwölfjährigen Tochter. Als Alleinerzieherin hat sie den Job gewählt, weil er ihr relativ viele Freiheiten lässt und sie für ihr Kind besser da sein kann. "Und ich habe Kinder einfach gerne. Auch deshalb bin ich Tagesmutter geworden", sagt Pessl. Ob sie diesen Job weiter behalten wird ist zweifelhaft. "Ich weiß nicht, wie lange ich mir das noch leisten kann. Ich überlege ernsthaft aufzugeben. So wie es ist, ist es ein Desaster". Was ihr das Leben erleichtern würde? „Wenn ich mich auf ein Grundgehalt von 500 Euro verlassen könnte, hätte ich schon viele Sorgen weniger", so Pessl. Noch will sie die Hoffnung aber nicht aufgeben. Zwei Kinder, die für jeweils 40 Stunden pro Woche kommen, wären für sie die Rettung.

BAGS-Kollektivvertrag

Die Tageselterntätigkeit kann freiberuflich ausgeübt werden. Für Angestellte ist sie kollektivvertraglich im BAGS-Kollektivvertrag (Berufsvereinigung von Arbeitgebern für Gesundheits- und Sozialberufe) geregelt. Gemäß des BAGS-KV stellen Vereine wie die Kinderdrehscheibe, das Hilfswerk oder die Volkshilfe ihre Tageseltern an. Dass die Vertragssituation für Tageseltern nicht befriedigend ist, weiß Wolfgang Gruber, Vorsitzender der BAGS: "Diese Diskussion haben wir seit zehn Jahren. Es ist ungewöhnlich, dass ein normales Arbeitsverhältnis nach "Stücklohn" und nicht nach "Zeitlohn" bezahlt wird", sagt Gruber zu derStandard.at. Es gelte den Spagat zwischen Finanzierbarkeit für die Trägerorganisationen und einer angemessenen Entlohnung zu schaffen. Viele Organisationen seien nicht bereit, mehr Geld für die Tageseltern zu bezahlen.

Gruber: "Einerseits werden hohe Qualifikationen gewünscht, die Bereitschaft diese auch entsprechend zu entlohnen ist aber gering". Insgesamt sei die Entlohnung in der Kinderbetreuung, vor allem auch in den privaten Kinderbetreuungseinrichtungen, nicht angemessen.
Ein Lichtblick für Tageseltern könnte allerdings die Steiermark sein. Derzeit wird mit dem Land ein Gehaltsmodell verhandelt, das auch ein Basisgehalt vorsieht: "Das könnte beispielgebend für das ganze Land sein", erklärt Gruber.

Tageseltern werden gesucht

In ganz Wien gibt es derzeit 1.230 Betreuungsplätze bei Tageseltern. Die Stadt Wien plant diese Plätze aufzustocken. "Wir suchen dringend Tageseltern", sagt Sabine Maunz, Leiterin der Abteilung Kinderbetreuung durch Tageseltern beim Wiener Hilfswerk. Derzeit sind beim Verein 50 angestellt, doch die Nachfrage sei enorm gestiegen. "Wir könnten locker noch 20 aufnehmen", so Maunz. EinsteigerInnen ohne Vordienstzeiten bekommen, wenn sie fünf Kinder an fünf Tagen betreuen, gemäß BAGS-KV 2.000 Euro Brutto. Für drei Kinder an fünf Tagen liegt der Monatslohn bei 1.160 Euro Brutto. Wie viele Kinder eine Tagesmutter betreuen darf, hängt von der entsprechenden Bewilligung durch die Stadt Wien ab. Dass es beim Verdienst der Tagesmütter zu Schwankungen kommen kann, räumt auch Maunz ein. "Unser Verein ist aber sehr bemüht, die Tagesmütter bei der Vermittlung zu unterstützen".

Um ihr Gehalt müssten Tageseltern trotzdem ständig bangen: "Deshalb springen auch viele wieder ab", sagt Tagesmutter Pessl zu derStandard.at. Auch der Rückhalt aus gewerkschaftlicher Sicht dürfte verbesserungswürdig sein. Weder die Pressestelle der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA) noch jene der Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft (vida) konnte bis dato einen zuständigen Referenten nennen. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 6. Dezember 2010)