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Zeigt sich der Himmel grau in grau, dann sinkt bei vielen Menschen die Stimmung.

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Dietmar Winkler ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin an der Medizinischen Universität in Wien. Seit 2007 leitet er die Ambulanz für saisonale affektive Störungen.

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Lange Nächte, kurze Tage - Das fehlende Licht in den Herbst- und Wintermonaten schlägt sich bei vielen Menschen aufs Gemüt. Mit der Lichttherapie haben saisonal bedingte Depressionen wenig Chance.

derStandard.at: Ist die Saisonal Auftretende Depression eine Erkrankung?

Winkler: Das kann man definitiv sagen. Sie wird entweder als rezidivierende, also wiederkehrende depressive Störung oder als Subform einer bipolaren affektiven Störung klassifiziert.

derStandard.at: Mit welchen Symptomen haben die Betroffenen zu kämpfen?

Winkler: Typische Symptome sind Freud- und Lustlosigkeit, Antriebsverminderung und depressive Verstimmung. Dazu kommen noch Veränderungen von Appetit und Schlafverhalten. Interessanterweise zeigen Herbst-Winter-Depressionspatienten häufig eine Appetitvermehrung mit konsekutiver Gewichtszunahme und eine sogenannte Hypersomnie. Das heißt, die Patienten schlafen viel mehr als sonst, sind aber trotzdem unter Tag müde.

derStandard.at: Warum haben die Patienten mehr Hunger und ein größeres Schlafbedürfnis?

Winkler: Wahrscheinlich ist dieses Verlangen neurobiologisch bedingt. Im Hypothalamus und in anderen Hirnarealen, gibt es Schlafzentren und Zentren, die für die Appetitregulation zuständig sind und von verschiedenen Botenstoffen angesteuert werden. Vermutlich verursachen diese Neurotransmitter neben den typischen depressiven Symptomen auch diese vegetativen Symptome und Veränderungen in der Appetenz. 

derStandard.at: Sind diese beiden Faktoren auch der wesentliche Unterschied zu anderen depressiven Erkrankungen?

Winkler: Nein. Es stimmt zwar, dass Patienten mit anderen depressiven Erkrankungen häufig schlecht schlafen und auch weniger essen. Dennoch zeichnet sich die Herbst- Winter Depression primär nicht durch ein verändertes Appetit- oder Schlafverhalten aus, sondern vielmehr durch den zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Auftreten und Abklingen affektiver Episoden und den Jahreszeiten.

derStandard.at: Ursache der Winterdepression ist der Lichtmangel. Was bewirkt das Lichtdefizit konkret im menschlichen Organismus?

Winkler: Licht hat großen Einfluss auf unsere zirkadianen Rhythmen. Lichtmangel kann bei prädisponierten Personen dazu führen, dass der Schlaf-Wach-Rhythmus aus dem Takt kommt, was letztendlich in Schlafstörungen resultiert. Man nimmt an, dass hier die neben anderen Botenstoffen, die beiden Neurotransmitter Melatonin und Serotonin eine wichtige Rolle spielen. Ihre Biosynthese wird vom Tageslicht reguliert. Während die Produktion des Neurotransmitters Serotonin vor allem tagsüber auf Hochtouren läuft, wird Melatonin vermehrt in der Nacht gebildet und fördert das Einschlafen. In den lichtarmen Monaten wird mehr Melatonin produziert, auch untertags. Deshalb fühlt sich der Mensch permanent müde und unausgeschlafen. Im Winter steht hingegen zu wenig Serotonin zur Verfügung, was Auswirkungen auf die Betroffenen hat. 

derStandard.at: Warum betrifft das manche Menschen und andere wiederum nicht?

Winkler: Das hat wahrscheinlich genetische Ursachen. Befinden sich Personen mit dieser genetischen Präsdisposition in der entsprechenden Umgebung, dann treten die erwähnten Beschwerden auf. In den Tropen werden diese Menschen in den Wintermonaten keine Probleme haben.

derStandard.at: Behandelt wird vor allem mit künstlichem Licht. Wie wirkt sich diese Therapie auf die Patienten aus? 

Winkler: Es kommt zu einer Reduktion der depressiven Symptome. Und das relativ rasch innerhalb weniger Tage. Das zeichnet die Lichttherapie gegenüber medikamentösen antidepressiven Therapien aus. Außerdem ist sie gut verträglich. Die meisten Patienten haben kaum Nebenwirkungen. Und wenn doch, dann sind diese meist gering und vorübergehend. 

derStandard.at: Was wären das für Nebenwirkungen?

Winkler: In seltenen Fällen kommt es zu Einschlafstörungen, bedingt durch die antriebssteigernde Wirkung der Lichttherapie. Deshalb sollte die Lampe immer morgens nach dem Aufstehen angewendet werden. Unter Umständen kann es auch zu Kopfschmerzen oder Augenbrennen kommen. Hier wäre dann zu überlegen ob man eventuell die Therapiedauer reduziert. Bei verschiedenen Augenerkrankungen allerdings, wie der Makuladegeneration beispielsweise, sollte generell keine Lichttherapie durchgeführt wird

derStandard.at: Wird die Lichttherapie auch bei anderen Formen einer Depression eingesetzt?

Winkler: Ja, allerdings ist hier die Datenlage weniger konsistent als bei der saisonal abhängigen Depression. Dennoch wird die Lichttherapie auch bei anderen depressiven Erkrankungen vorwiegende als additives Verfahren eingesetzt. Vor allem dann wenn die Patienten im Winter eine depressive Episode haben. Im strahlenden Sonnenschein im Juli oder August macht es natürlich keinen Sinn einen Patienten im dunklen Zimmer vor eine Lampe zu setzen. 

derStandard.at: An einem schönen Wintertag liegt die Lichtstärke bei etwa 100.000 Lux. Wie viel Lux erzeugt so ein Lichttherapiegerät?

Winkler: Der empfohlene Wert liegt bei etwa 10.000 Lux in einem Abstand von etwa 50- 70 cm.

derStandard.at: Und wie lange wird das künstliche Licht konsumiert?

Winkler: Eine Lichttherapieeinheit dauert zwischen einer halben Stunde und einer Stunde. Das wird dann im Detail mit den Patienten abgestimmt. 

derStandard.at: Sie bieten im AKH Lichttherapie an. Müssen die Patienten das Gerät kaufen?

Winkler: Wenn Patienten zu uns kommen und sich der Verdacht einer SAD tatsächlich bestätigt, dann bieten wir ihnen für die Dauer von einem Monat ein Gerät leihweise an. Nach diesem Therapieversuch evaluieren wir dann, ob die Lichttherapie geholfen hat oder nicht und beraten die Patienten anschließend hinsichtlich eines Kaufs. In Österreich gibt es eine ganze Reihe käuflich erwerbbarer Lichttherapiegeräte.

derStandard.at: Was, wenn die Lichttherapie nicht hilft?

Winkler: Es gibt medikamentöse Alternativen. Antidepressive Therapiestrategien, die man dann entsprechend dem Wirkungs- und Nebenwirkungspotential an die Patienten individuell anpasst. 

derStandard.at: Die Herbst-Winter-Depression verschwindet so oder so im Frühling. Warum nicht gleich abwarten?

Winkler: Wenn die Beschwerden sehr gering sind, natürlich eine Möglichkeit. Die Saisonalität psychopathologischer Symptome ist in der Allgemeinbevölkerung kontinuierlich verteilt. Es gibt Menschen die spüren wenig, andere spüren ein bisschen mehr und wiederum andere sind schwer depressiv. Wir behandeln Patienten, die signifikant darunter leiden und ihrer Lebensqualität dadurch massiv beeinträchtigt sind. Wenn jemand sagt, dass der den Sommer lieber mag als den Winter, aber er damit umgehen kann, dann gibt es wahrscheinlich keinen Handlungsbedarf. (derStandard.at, 07.12.2010)