Wien  - "Intensivmediziner kämpfen heute mit zum Teil beträchtlichen Strukturproblemen. So können Arbeitsbelastung und personelle und finanzielle Ressourcen in den einzelnen Spitälern sehr unterschiedlich sein. In der Folge kann das Ergebnis zwischen Intensivstationen enorm variieren, und damit die Prognose und die Sterblichkeit von Patienten", so Philipp Metnitz von der UniKlinik für Anästhesie, Allgemeine Intensivmedizin und Schmerztherapie am AKH Wien anlässlich der Jahrestagung des von ihm geleiteten "Österreichische Zentrums für Dokumentations- und Qualitätssicherung in der Intensivmedizin" (ASDI). Zum Beispiel ist in österreichischen Intensivstationen mit der höchsten Sterblichkeit diese dreimal so hoch wie in Intensivstationen mit der niedrigsten Sterblichkeit. 

Die ASDI-Datenbank umfasst Daten von über 300.000 anonymisierten Intensivpatienten mit mehr als zwei Millionen Pflegetagen, heuer haben 67 österreichische Intensivstationen Daten beigesteuert. "Die ausgewerteten und anonymisierten Daten zeigen, dass es in vielen Belangen große Unterschiede gibt", so Metnitz. "Mit Hilfe dieser Daten können Intensivstationen ihre Situation mit anderen vergleichen und Aktivitäten setzen, um ihre Ergebnisse zu optimieren, auch und besonders im Interesse der Patienten."

Die moderne Intensivmedizin vollbringt heute hervorragende Leistungen und ermöglicht Patienten das Überleben in Situationen, wo das früher unmöglich gewesen wäre. Das Risiko für Patienten an einer Intensivstation zu versterben wird im Wesentlichen von zwei Faktorenblöcken bestimmt: Einerseits von strukturellen und organisatorischen Faktoren. Dazu gehören zum Beispiel die Steuerung der Patientenflüsse, die Bettenkapazitäten der Intensivstationen, die personelle Ausstattung, Anzahl und Qualifizierung der Nachbetreuungseinrichtungen. Andererseits von den therapeutischen Prozessen.

Unvorhergesehene Nacht-Entlassungen erhöhen Sterblichkeit

ASDI-Daten zeigen zum Beispiel, dass es eine Reihe von Intensivstationen gibt, die zahlreiche Nacht-Entlassungen aufweisen. "Diese Patienten haben eine deutlich erhöhte Sterblichkeit. Entlassungen zur Nachtzeit sind immer unvorhergesehen und daher als Reaktion auf einen Bettenmangel bzw. erhöhten Bettenbedarf aufzufassen", so Metnitz. Eine englische Studie weist nach, dass die Sterblichkeit nach einem Aufenthalt in einer Intensivstation um bis zu 39 Prozent zu verringern wäre, wenn die Patienten 48 Stunden länger in der Intensivstation betreut würden, und so in ihren Organfunktionen stabilisiert werden. Allerdings würde dies (für GB) eine Vermehrung der Intensivbettenkapazität um 16 Prozent bedeuten. Metnitz: "Von einer Erhöhung der Intensivbette-Zahl kann allerdings in Österreich nicht die Rede sein, im Gegenteil."

Zu wenig Pflegepersonal, höhere Sterblichkeit

Das vorhandene Pflegepersonal im Verhältnis zum Arbeitsaufwand ist entscheidend für die sichere Behandlung auf Intensivstationen. "Studien zeigen konstant, dass es ab einem Schlüssel von eins zu zwei - wenn also eine Pflegeperson mehr als zwei Patienten betreuen musste - zu einer drastischen Erhöhung an Komplikationen kommt: Zum Beispiel selbstständige Entfernung eines Beatmungsschlauches, Infektionen, Lungenentzündung und sogar Blutvergiftung. Solche Komplikationen führen zu einer verlängerten Aufenthaltsdauer, verringern die Kapazität einer Intensivstation, und führen zu einer erhöhten Sterblichkeit", so der Mediziner. Dieser Zusammenhang wurde auch durch österreichische Daten untermauert. 

Optimierte Prozesse reduzieren Krankenhausinfekte 

Andererseits hänge die Sterblichkeit von therapeutischen Prozessen ab. Diese sind grundsätzlich durch Ärzte beeinflussbar. Ein Beispiel ist die Reduktion von Krankenhausinfekten, wie sie in den USA vorgezeigt wurde. Es konnte nachgewiesen werden, dass durch die konsequente Einführung von Checklisten beim Legen zentralvenöser Katheter, verbunden mit Sanktionen bei Nichteinhalten der hygienischen Vorschriften, die Infektionsrate im Bundesstaat Michigan um 66 Prozent gesenkt werden konnte. Diese Ergebnisse konnten nun seit drei Jahren konstant gehalten werden. Die Autoren schätzen, dass dadurch etwa 80.000 Infektionen, bis zu 28.000 Todesfälle und 2,3 Milliarden US-Dollar jährlich eingespart werden könnten. Inzwischen ist dieses Programm in zehn US-Bundesstaaten, Spanien und England ausgerollt. Andere Länder folgen - leider sei Österreich nicht dabei.

Generell befinde sich die Intensivmedizin heute in einem Spannungsfeld: Sehr vieles ist medizinisch möglich und ethisch wünschenswert, doch zunehmender wirtschaftlicher Druck zwinge die Krankenhäuser zu sparen. Der Bedarf an Intensivbetten werde jedenfalls in den nächsten Jahren steigen (Baby-boomer Generation). Nur eine Qualitäts-orientierte Medizin könne einen optimalen Ressourceneinsatz garantieren. Prof. Metnitz: „Generell sollten Entscheidungen nicht einfach unter dem Druck der Ressourcenknappheit getroffen werden. Sie sollten auf der Grundlage objektiver Daten und Evidenz-basierter Überlegungen erfolgen, und der Einsatz von Ressourcen sollte Patienten-orientiert sein. Investitionen in Strukturen wären oft notwendig, um Prozesse zu optimieren - dieses Verständnis fehlt allerdings häufig bei den ökonomisch Verantwortlichen."(red)