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Diesmal veröffentlicht Wikileaks diplomatische Berichte

Foto: EPA/SALVATORE DI NOLFI

Washington - Die Internetplattform Wikileaks hat laut Medienberichten 250.000 geheime Dokumente der US-Diplomatie veröffentlicht. Unter anderem die Zeitung New York Times und das Magazin Der Spiegel publizierten am Sonntag auf ihrer Website einen langen Artikel mit Angaben zum Inhalt der von Wikileaks enthüllten US-Depeschen.

Der Inhalt ist wie erwartet äußerst brisant. Das deutsche Nachrichtenmagazin berichtete unter anderem, dass US-Diplomaten im Auftrag von Außenministerin Hillary Clinton die Diplomaten anderer Länder - aber auch die Pläne und Absichten von Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon - ausspähen. Weiters geht aus Akten hervor, dass die USA in Vorbereitung des Kriegsfalles eine geheime "Araber-Allianz" gegen den Iran geschmiedet haben und dass die USA über "islamistische Tendenzen" in der Regierung des türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan besorgt seien. An der Verlässlichkeit der Türkei haben Diplomaten der Vereinigten Staaten tiefe Zweifel. Über Saudi-Arabien heißt es, dass die aus dem Land kommende Finanzierung von Al-Kaida nicht versiegt sei, über China, dass es einen Cyber-War gegen die USA und ihre Verbündete in Erwägung gezogen habe.

Die Veröffentlichung war von den Regierungen weltweit mit Nervosität erwartet worden, weil sie unter anderem persönliche Einschätzungen von US-Diplomaten zu Politikern ihres Gastlands, vertrauliche Absprachen und geheime Informationen enthalten sollten. Bis zuletzt hatte das US-Außenministerium verbündete Staaten, unter ihnen auch Deutschland, über möglicherweise brisante Berichte aus US-Botschaften unterrichtet. Das Pentagon verurteilte die Veröffentlichungen als "rücksichtslos" ; man habe Schritte unternommen, um geheime Dokumente besser zu sichern.

Etliche Politiker aus mit den USA verbündeten Ländern bekommen in den Dokumenten ihr Fett ab: Viele Stunden soll deshalb US-Außenministerin Hillary Clinton damit verbracht haben, potenziell verschnupfte Allierte vorab um Pardon zu bitten. In Berlin war Guido Westerwelle zu beruhigen, in London David Cameron zu beschwichtigen, in Ankara der verärgerte türkische Alliierte bei der Stange zu halten.

Die "Botschaftsakten" , wie sie kurz genannt werden, enthalten geheime Depeschen, in denen US-Missionen die Lage in ihren jeweiligen Gastländern einschätzen. Oder, was meist noch heikler ist, aufschreiben, was sie jenseits aller Höflichkeitsfloskeln von führenden Politikern halten. Der deutsche Außenminister Westerwelle, so viel ist bereits durchgesickert, kommt dabei ziemlich schlecht weg. Er müsse seinen Job noch lernen, bescheinigten ihm die Amerikaner. Angela Merkel soll ebenfalls kritisch, wenn auch positiver als ihr Koalitionspartner beurteilt worden sein. Cameron wird von Obama als Leichtgewicht eingestuft.

Am Sonntag meldete Wikileaks über Twitter eine Cyber-Attacke, da waren die Veröffentlichungen durch die diversen Printmedien bereits im Gange. (Reuters, fh/DER STANDARD, Printausgabe, 29.11.2010)