Der Energieausweis für Gewerbeimmobilien sei noch nicht ausgereift, erklärt Iva Kovacic, Forscherin an der TU Wien, im Gespräch mit Wojciech Czaja. Umso mehr Bedeutung haben dafür die Gebäudezertifikate.

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STANDARD: Seit zwei Jahren muss man bei Vermietung und Verkauf von Objekten einen Energieausweis vorlegen. Hat sich das Mittel bewährt?

Kovacic: Eines kann man sagen: Durch die Einführung des verpflichtenden Energieausweises ist in der Bevölkerung das Bewusstsein für energiesparendes Bauen gestiegen. Aber bewährt hat sich der Ausweis bisher nicht.

STANDARD: Warum nicht?

Kovacic: Die Qualität, mit der solche Ausweise ausgestellt werden, lässt zu wünschen übrig. Manche Ausweise sind sehr genau berechnet, bei anderen hingegen liegen die Werte weit entfernt von jeder Realität.

STANDARD: Der Energieausweis ist speziell auf den Wohnungsbau zugeschnitten. Kann man ihn auch bei Bürobauten und Gewerbeimmobilien anwenden?

Kovacic: Nein. Bei Gewerbeimmobilien gelten ganz andere Spielregeln als bei Wohnungen und Einfamilienhäusern. In einem Büro beispielsweise geht es nicht nur um Heizung, sondern auch um Kühlung, Lüftung und Beleuchtung. Durch die Anzahl der Menschen und die Abwärme von EDV-Geräten ist es in Büros meistens viel zu warm. Solche Aspekte werden im herkömmlichen Energieausweis nicht ausreichend berücksichtigt.

STANDARD: Einen Energieausweis für Bürobauten gibt es noch nicht?

Kovacic: Doch, den gibt es zwar schon, aber er ist noch nicht ganz ausgereift.

STANDARD: Was ist das Problem?

Kovacic: Die sogenannte TGA, die technische Gebäudeausrüstung, ist in Büroimmobilien sehr komplex. Je nach Ausrichtung eines Büros gibt es beispielsweise Bürogebäude, die in der Übergangszeit auf der Nordseite noch beheizt werden, während auf der Südseite schon gekühlt werden muss. So etwas ist schwierig zu simulieren. Da mangelt es noch an Berechnungstools.

STANDARD: Wie sieht es bei Industriebauten und Handelsimmobilien aus?

Kovacic: Noch komplizierter! Gewerbeimmobilien sind in ihrer Typologie so unterschiedlich, dass es hier überhaupt keine einheitlichen Berechnungsgrundlagen gibt. Sie können ein Shoppingcenter mit einer Lagerhalle oder einer Produktionshalle nicht vergleichen. Ja man kann nicht einmal Produktionshallen untereinander vergleichen, weil jeder einzelne Industriezweig seine eigenen Energiebedarfswerte hat, je nach der Art der Produktion.

STANDARD: Und im Retail-Bereich?

Kovacic: Bei Shoppingcentern ist eine Simulation ebenfalls sehr schwierig. In den meisten EKZ müssen die innen liegenden Bereiche selbst im Winter gekühlt werden.

STANDARD: Wie lassen sich derart unterschiedliche Daten erfassen?

Kovacic: Jedenfalls nicht mit einem einheitlichen Ausweis. Das ist kaum möglich.

STANDARD: In den letzten Jahren werden immer mehr Gewerbeimmobilien zertifiziert. Was ist der Unterschied zwischen einem Energieausweis und einem Gebäudezertifikat?

Kovacic: Das sind zwei ganz unterschiedliche Dinge. Der Energieausweis ist auf die Initiative der EU in Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Institutionen entstanden. Hier geht es um die Schaffung von Transparenz einer Immobilie im Fall von Vermietung und Verkauf. Das ist ein übergeordnetes Ziel der Klimaschutzpolitik - und nicht zuletzt Konsumentenschutz. Bei Gebäudezertifikaten hingegen geht es vor allem um immobilienwirtschaftliche Ziele.

STANDARD: Und zwar welche?

Kovacic: Die Zertifikate sollen ein Objekt attraktiver und somit auch besser verwertbar machen. Es geht um Image und Alleinstellungsmerkmale. Und es gibt noch einen weiteren Unterschied: Bei gegenwärtigen Energieausweisen geht es ausschließlich um den Energiebedarf eines Objekts, bei Zertifizierungen hingegen ist das Spektrum breiter gefasst und umfasst ökologische, ökonomische und nicht zuletzt soziale Aspekte.

STANDARD: Es gibt weltweit mehr als 25 unterschiedliche Gebäudezertifikate. Kann man die Zertifikate miteinander vergleichen?

Kovacic: Überhaupt nicht! Die Zertifikate unterscheiden sich von Region zu Region. Ein nachhaltiges Gebäude in Indonesien sieht aufgrund des Klimas, der Rohstoffe und der Wirtschaftslage im Land ganz anders aus als etwa ein nachhaltiges Haus in den USA.

STANDARD: Welche Zertifikate sind in Österreich relevant?

Kovacic: Die beiden Marktführer für den angloamerikanischen und europäischen Markt sind LEED und breeam. Diese kommen auch schon in Österreich zur Anwendung. Außerdem gibt es den österreichischen ÖGNI und das deutsche Pendant DGNB sowie das in Österreich schon länger vorhandene klima:aktiv-Zertifikat.

STANDARD: Haben Zertifikate einen Einfluss auf die Gebäudequalität?

Kovacic: Schwer zu sagen. Sämtliche bisher ausgewiesenen Gebäude in Österreich wurden nachträglich zertifiziert. Mir ist kaum ein Projekt bekannt, das bereits in der Planungsphase zertifiziert wurde. Man braucht sicher noch ein paar Jahre, um wirklich beurteilen zu können, wie sich die Lage auf dem Markt entwickeln wird.

STANDARD: Gibt es Unterschiede im nachhaltigen Bauen zwischen eigengenutzten und fremdvermieteten Objekten?

Kovacic: In den letzten Jahren war der Unterschied noch sehr groß. Unsere Forschungsarbeit zeigt jedoch, dass die Differenz immer kleiner wird. Ich habe den Eindruck, dass derzeit ein Umdenken stattfindet. Immer mehr Investoren und Projektentwickler realisieren, dass Energieschleudern, also energetisch schlecht geplante Projekte, auf dem Markt nicht mehr attraktiv sind. Bei Bürogebäuden ist die Kundschaft inzwischen besonders streng.

STANDARD: Eine Prognose für die Zukunft?

Kovacic: Derzeit ist das Thema Bruttomiete stark im Gespräch. Der Büromieter zahlt dann pro Quadratmeter einen Pauschalbetrag, in dem Heizung, Kühlung, Lüftung und Beleuchtung bereits inkludiert sind. Nur so lassen sich die tatsächlichen Kosten für den Endverbraucher miteinander vergleichen. Ich glaube, das wird eines der zentralen Themen in den nächsten Jahren sein. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27./28.11.2010)