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Klimaforscher Foelsche: "Das Klima verändert sich mit unverminderter Geschwindigkeit, auch wenn wir in Österreich nicht permanent mit der Nase darauf gestoßen werden."

Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Standard: Was hat sich seit dem letzten Interview vor einem Jahr getan? Wie geht es dem ewigen Eis?

Foelsche: Das Schmelzen geht munter weiter. Grönland verliert pro Jahr mehr Eis, als es in den Alpen insgesamt an Gletschern gibt. Wir nähern uns unaufhörlich dem Punkt, an dem der Rückgang nicht mehr zu stoppen ist. Auch das Polareis kann sich im Winter kaum noch erholen: Nie zuvor seit Messbeginn war die Meereisbedeckung im November derart gering wie jetzt. Die Nordost-Passage, früher eine Expedition, wird fast schon zum touristischen Ziel.

Standard: Waren heuer erneut Temperaturanstiege festzustellen?

Foelsche: Das Jahr 2010 ist auf dem besten Weg, das heißeste seit Beginn der Messungen vor 131 Jahren zu werden. Die Periode Jänner bis Oktober war schon die heißeste. Das Klima verändert sich mit unverminderter Geschwindigkeit, auch wenn wir in Österreich nicht permanent mit der Nase darauf gestoßen werden. Es fällt uns bloß auf, dass es kein typisches nasses Allerheiligenwetter mehr gibt.

Standard: Standen eigentlich die Waldbrände in Russland in Zusammenhang mit dem Klimawandel?

Foelsche: Die extremen Brände waren kein Zufall: Der Juli war um fünf Grad heißer, als man es erwarten dürfte. Die Temperaturen waren die höchsten, die dort je gemessen wurden. Sie waren nicht nur mitbeteiligt, sondern entscheidend, dass es zu den Bränden gekommen ist.

Standard: Stimmt der Eindruck, dass sich Katastrophen häufen?

Foelsche: Durch die allgemein gestiegenen Temperaturen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für singuläre Ereignisse. Der Sommer 2003 war in Europa ungewöhnlich heiß. In Graz musste man im Schnitt 40.000 Jahre auf einen solchen Sommer warten. Aufgrund des veränderten Klimas ist er zwar noch immer unwahrscheinlich, aber er tritt nun durchschnittlich alle 400 Jahre auf.

Standard: Die Wahrscheinlichkeit ist 100-mal größer geworden?

Foelsche: Ja. Bei Ereignissen, die nicht so extrem sind, ist es allerdings deutlich leichter, auch statistisch nachzuweisen, dass mit dem Klima etwas nicht mehr stimmt. Es ist zwar nicht wahnsinnig überraschend, dass die Zahl der extrem heißen Tage zunimmt, wenn es im Schnitt wärmer wird. Der Zusammenhang mit dem Klimawandel tritt hier aber am klarsten zutage. In Graz hatten wir früher durchschnittlich vier Tage pro Jahr mit über 30 Grad. Im letzten Jahrzehnt ist diese Zahl auf 17 gestiegen, heuer waren es 18.

Standard: Eine 100-mal größere Wahrscheinlichkeit bewirkt aber scheinbar noch kein Umdenken.

Foelsche: Wir haben Schwierigkeiten, wenig konkrete Bedrohungen, die in der Zukunft liegen, ernst zu nehmen. Wir sind daher auch nicht bereit, etwas von unserem Wohlstand zu opfern, damit diese Ereignisse nicht eintreten. Ein Umdenken erfolgt daher wohl nur durch extreme Ereignisse. Die Waldbrände und die Hitzewelle in Russland kosteten laut einer Schätzung der Münchner Rückversicherung immerhin rund 11.000 Menschen das Leben. (Thomas Trenkler/DER STANDARD-Printausgabe, 27.11.2010)