EU-Klimaschutzkommissarin Hedegaard sieht große Probleme, wenn die Verhandlungen in Cancún scheitern

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Standard: Viele Experten schätzen die Aussichten für Cancún als nicht sehr gut ein. Kann der Gipfel schon als Erfolg betrachtet werden, wenn es keine Rückschritte gibt?

Hedegaard: Ich hoffe sehr, dass es keine Rückschritte gibt - die EU arbeitet hart daran. Wir versuchen ein Paket von Entscheidungen zu erreichen, einen Rahmen für den Stopp der Abholzungen, für die Anpassungen an den Klimawandel, den Technologietransfer. Die entwickelten Länder müssen an ihren Zusagen für die Anschubfinanzierung festhalten - das wird die EU. Wir versuchen, das Momentum aufrechtzuerhalten, auf der Kopenhagen-Vereinbarung aufzubauen. Es hängt letztlich alles vom politischen Willen ab.

Standard: Sehen Sie den?

Hedegaard: Ich sehe, dass zu viele das wiederholen, was sie schon viele Male gesagt haben. Beim Vorbereitungstreffen in Mexiko war die Atmosphäre sehr gut, sehr konstruktiv. Aber so war es auch vor Kopenhagen. Was zählt, ist: Wollen die Länder Kompromisse machen? Die Herausforderung im UN-System ist, dass ein paar Staaten jeden Fortschritt blockieren können, wenn sie nicht wollen.

Standard: Viel hängt von den USA und China ab. Die letzten Verhandlungsrunden sahen eher nach Blockade aus als nach Kompromissen.

Hedegaard: Deshalb kann ich nicht sagen, ob sie es letztlich tun werden. Es hat nicht gerade Sinn, ein Klima-Abkommen ohne die zwei größten Emittenten auszuhandeln. Wenn Cancún keinen Fortschritt bringt, steht viel auf dem Spiel. Jeder sieht, wie schwierig es im UN-Prozess ist. Noch schwieriger ist es, eine Alternative aufzuzeigen. Es wäre schön, wenn wir sagen könnten: Wir machen es innerhalb der G-20 - oder im Major Economies Forum. Aber Differenzen wie die zwischen China und den USA werden nicht plötzlich verschwinden, wenn wir die Zahl der Teilnehmer reduzieren. Keiner sollte denken, dass es ein Wundermittel gibt. Es geht letztlich um Kompromisse.

Standard: Wollen Sie sagen, dass der Verhandlungsrahmen zur Debatte steht, wenn Cancún scheitert?

Hedegaard: Nein, der Rahmen wird bleiben. Formal werden die Verhandlungen weiter- und weitergehen. Aber wenn Cancún keine Fortschritte bringt oder gar Rückschritte, wenn man die Kopenhagen-Vereinbarung wieder infrage stellt - dann werden viele sehr ungeduldig werden mit dem Prozess.

Standard: In Kopenhagen hat es viel Kritik an der EU gegeben: Sie habe ihre Führungsrolle verloren, sei an den Rand gedrängt worden. Wird das besser in Cancún?

Hedegaard: Es sind auch einige Mythen geschaffen worden, was in Kopenhagen passiert ist. Die Europäer waren anwesend, im Raum, als die Entscheidungen getroffen wurden. Allerdings: Präsident Obama vertrat die USA, Premier Singh Indien, Wen Jiabao China - und hier ist Europa: mit EU-Kommissionspräsident Barroso, Schwedens Ministerpräsidenten als dem EU-Vorsitz, dem spanischen Premier als kommendem Vorsitz plus Merkel aus Deutschland plus Brown aus Großbritannien plus Sarkozy aus Frankreich.

Standard: Also zu viele Europäer.

Hedegaard: Das wird von den anderen akzeptiert, aber es funktioniert nicht, wenn diese Europäer unterschiedliche Dinge sagen. Wenn Europa den Einfluss haben will, der mit unserer wirtschaftlichen Größe übereinstimmt, müssen wir lernen, mit einer Stimme zu sprechen. Das heißt nicht, dass nur einer diese Stimme sein kann. Aber wer auch immer etwas aus Europa sagt, sollte dieselben Botschaften vermitteln. Sonst schafft man Verwirrung, und es ist ziemlich einfach, die verschiedenen Stimmen zu ignorieren.

Standard: Was also will Europa in Cancún auf den Tisch legen?

Hedegaard: Zunächst werden wir Zusagen zur Anschubfinanzierung erfüllen. Es ist unglaublich wichtig, dass das Geld, das wir in Kopenhagen versprochen haben, wirklich ausgehändigt wird. Immer noch auf dem Tisch ist das Angebot, unsere Emissionsziele auf minus 30 Prozent zu erhöhen - vorausgesetzt, dass auch andere einen Beitrag leisten. Vor einem Jahr wurde Europa beschuldigt, Kioto killen zu wollen. Im Frühjahr hat die Kommission angekündigt, einer zweiten Verpflichtungsperiode im Kioto-Rahmen zustimmen zu können - aber unter gewissen Bedingungen. Es hat keinen Sinn, Kioto weiterzubetreiben, wenn wir die Einzigen sind, die etwas tun.(Julia Raabe, STANDARD-Printausgabe, 27./28.11.2010)