Grafik: Der Standard

Zuerst die gute Nachricht: Österreich hat seinen Titel souverän verteidigt und ist auch 2010 wieder Doppeleuropameister geworden. Die schlechte Nachricht: Die Disziplin heißt dummerweise "Geringschätzung der Grundlagenforschung".

Bei der vorletzten Umfrage 2005 waren wir nur relativ knapp voran. Doch 2010 ist der Vorsprung souverän. Der Aussage "Auch wenn sich daraus kein unmittelbarer Nutzen ergibt, ist wissenschaftliche Forschung, die das Wissensspektrum erweitert, notwendig und sollte von der Regierung unterstützt werden" stimmten in Österreich nur 48 Prozent der Befragten zu.

Platz zwei in Sachen Forschungsgeringschätzung geht im Europa der 27 an Portugal, wo es für die Grundlagenforschung immerhin schon 60 Prozent Zustimmung gibt. Im EU-27-Schnitt liegt der Anteil der Befürworter von Finanzierungen unmittelbar zweckfreier Forschung immerhin bei stolzen 72 Prozent.

Noch deutlicher ist der Vorsprung bei den expliziten Gegnern der Unterstützung von Grundlagenforschung: Während ein Viertel der Österreicher dagegen ist, folgen auf Platz zwei abgeschlagen Finnland und Litauen mit bloß 15 Prozent Ablehnung. EU-weit sind nicht einmal zehn Prozent gegen die öffentliche Finanzierung von Grundlagen.

Christoph Kratky, Präsident des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF, der Grundlagenforschung fördert, gibt zwar zu bedenken, dass die österreichischen Werte an sich respektabel wären, "hätte man nicht den Vergleich mit anderen europäischen Ländern". So aber mache es ihn "natürlich betroffen, dass Österreich bei der Wertschätzung für die Grundlagenforschung im europäischen Vergleich weit abgeschlagen an der letzten Stelle liegt".

Wie konnte es dazu kommen?

Stellt sich die große Frage, wie es in Österreich dazu kommen konnte. Für den Medien- und Kommunikationsforscher Josef Seethaler von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), der die EU-27-Daten kürzlich bei einer ÖAW-Tagung über Wissenschaft und Medien vorstellte, liegt die Hauptschuld bei den Medien.

Er kritisiert, dass in Österreich Berichterstattung über Wissenschaft im Normalfall nur auf den Wissenschaftsseiten stattfinde, und da oft nur aufgrund von Kooperationen. Außerdem seien die Journalisten zu nahe an der Wissenschaft und nähmen zu wenig auf die Lebensumstände der Leser Bedacht.

Auch Kratky sieht ein Problem bei den Medien - nimmt dabei aber eher den ORF in die Pflicht und dessen "offensichtlich unzureichend wahrgenommenen Bildungsauftrag". Die Kritik des FWF-Präsidenten ließe sich übrigens auch durch Eurobarometer-Umfragen stützen: 61 Prozent der Europäer schauen sich regelmäßig oder gelegentlich Wissenschaftsprogramme im Fernsehen an. TV ist damit in Sachen Wissenschaft das wichtigste Medium. In Österreich schauen sich nur 45 Prozent Wissenschaftssendungen an, was womöglich auch am Angebot liegt.

Man könnte bei den Ursachen für die österreichische Forschungsskepsis aber auch noch sehr viel tiefer ansetzen, nämlich beim österreichischen Bildungssystem. Die frühe Trennung in Haupt- und Mittelschule trägt wohl eher nicht dazu bei, dass möglichst viele Kinder und Jugendliche auch nur irgendetwas von der Faszination der Forschung mitkriegen.

Aber es mangelt wohl auch an den entsprechenden Lehrkräften, die diese Faszination vermitteln können. Nein, das bedeutet jetzt keine Kritik an den Lehrern, die naturwissenschaftliche Fächer unterrichten - im Gegenteil: Gerade in dem Bereich gibt es schlicht und einfach zu wenige.

Die zweite Frage ist, was die Politik mit diesem Umfrageergebnis zu tun hat. Angesichts der Unterfinanzierung der Universitäten, die in erster Linie Grundlagenforschung betreiben, sowie den Einsparungen bei der außeruniversitären Forschung muss man sich fast fragen, ob die Regierung diese Umfrageergebnisse womöglich nicht sogar kennt.

Dass die Regierung ihre unzureichende Finanzierung der Forschung mit dem geringen Interesse der Öffentlichkeit legitimiert, vermutet auch FWF-Chef Kratky. Er gibt aber auch zu bedenken, dass die Österreicher "den Milliarden für die Rettung der Banken oder diversen öffentlich finanzierten Bauvorhaben der ÖBB womöglich" wohl noch skeptischer gegenüberstehen. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24. November 2010)