Schon Adolf Loos wusste, dass Architektur alle angeht. In Zeiten der fortschreitenden Verstädterung gibt es gar kein Entrinnen, Häuser und Städte umgeben uns, prägen und bestimmen den Lebensraum und die Lebensbedingungen von immer mehr Menschen. Zugleich aber konstatieren Fachkritiker eine schwere Krise von Architekten wie Bauherren, die seit jeher in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen.

Aus Prestigegründen setzen Politiker und Entscheidungsinstanzen immer häufiger auf Stararchitekten, die zwar ausreichend medialen Hype, aber nicht immer unverwechselbare Stadtansichten und Skylines garantieren. Heutige Bauherren, nicht selten Immobiliengesellschaften, sind meist nur an Vermarktung und Profitraten interessiert, mit Baukunst oder sozialen Implikationen beschäftigen sie sich selten. Im Unterschied zu früheren Jahrhunderten, wie der Münchner Architekt und TU-Professor Wilhelm Kücker weiß: So ging etwa Kaiser Joseph I. bei Fischer von Erlach in die Bau-Schule. Jetzt hat Kücker, nebenbei auch noch Präsident des Bundes Deutscher Architekten (BDA), ein polemisches Pamphlet über die Architektur der Moderne geschrieben.

In Das Ego des Architekten - Die Moderne und die Folgen (Müry Salzmann Verlag) beantwortet er einige dringende Fragen zur Mega-Architektur unserer Tage: Muss man ihr in jedem Fall Respekt bekunden? Oder darf man nach der Berechtigung einer Architektur fragen, die ihren städtebaulichen und sozialen Kontext hochmütig ignoriert? Der inzwischen 77-jährige Autor beschreibt die Wege und Irrwege der architektonischen Moderne von 1910 bis heute, demontiert dabei auch Ikonen wie Le Corbusier (mit seinen Sympathien für Nazis) oder Stars der "Corporate Architecture" wie Herzog & de Meuron oder Philip Johnson. Subjektiv und ironisch zeichnet Kücker den kollektiven Abstieg eines ganzen Berufstandes nach - vom baumeisterlichen Künstler hin zum Dienstleister. Nicht nur damit steht er in einer kritischen Tradition, die 1968 von französischen Kollegen begonnen worden war. Morgen Buchpräsentation und Lesung von Wilhelm Kücker. Empfehlung. (dog//DER STANDARD, Printausgabe, 24. 11. 2010) )