Der Abschiebungsversuch war "gelebte Politische Bildung": Franz Dvoran

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"So geht das nicht, Frau Fekter", finden MitschülerInnen

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Bei der "Probe-Wahl" zu den Wiener Gemeinderatswahlen schnitten ÖVP und FPÖ äußerst schlecht ab, die Grünen siegten dafür knapp vor der SPÖ. Der "Fall Araksya" hatte darauf wenig Einfluss - der Abschiebungsversuch fand erst nach der Probewahl statt

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Mitten im Wien-Wahlkampf sorgte der Abschiebungsversuch der 14-jährigen Armenierin Araksya M. für Aufregung: Exakt an jenem Tag, als Innenministerin Maria Fekter ankündigte, Minderjährige künftig „sensibler" abzuschieben, kamen fünf FremdenpolizistInnen in Araksyas Schule, um das Mädchen abzuholen und in Schubhaft zu bringen – sehr zum Ärger des Direktors.

Die Schülerin selbst war rechtzeitig untergetaucht, die Selbstmordgefährdung ihrer Mutter schützte sie vor einer Abschiebung.

Seit zwei Wochen besucht Araksya wieder den Unterricht im BORG 3. Was hat der Abschiebungsversuch und der Medienrummel in der Schule ausgelöst? Wie sollen LehrerInenn mit dem unsicheren Status ihrer SchülerInnen umgehen? Über diese Fragen sprach Schuldirektor Franz Dvoran mit Maria Sterkl.

derStandard.at: Herr Dvoran, war der Fall Araksya M. das erste Mal, dass Sie als Direktor mit der Abschiebung eines ihrer Schüler konfrontiert waren?

Franz Dvoran: Ja, so hautnah haben wir das noch nie erlebt.

derStandard.at: Die LehrerInnen Ihrer Schule haben eine klare Stellungnahme abgegeben. Sie seien „ in der geschützten Zone Schule, für deren Sicherheit wir verantwortlich sind, noch nie von anderen Staatsdienern derart brüskiert worden", und hätten sich von den Polizisten sogar „bedroht gefühlt". Wie das?

Franz Dvoran: Wenn fünf Polizisten in der Schule auftauchen, dann wirkt das schon bedrohlich. Die Beamten waren zwar nicht uniformiert, aber sie kamen schließlich, ohne dass sie jemand gerufen hätte, und sie wollten eine Schülerin aus der Klasse herausholen. So etwas berührt natürlich das Selbstverständnis der LehrerInnen. Die Schule sollte eine geschützte Zone sein. Kinder sollen hier Freiräume erleben, die sie später nicht mehr haben werden – bestimmte Dinge, wie etwa Zuspätkommen oder irgendwelche Aufgaben nicht zu haben, das kann man sich im Job nicht mehr leisten. In der Schule soll das möglich sein. Die Realität kommt früh genug.

derStandard.at: Die Bundesministerin hat Sie indirekt angegriffen: Es sei Ihnen anzulasten, dass die Aktion so abgelaufen ist – denn ursprünglich hätte die Polizei erst nach dem Unterricht kommen wollen.

Franz Dvoran: Die Fremdenpolizei hat angerufen und gemeint, sie würden kommen, um 14 Uhr. Ich habe gesagt, ich habe um 14 Uhr einen Termin. Und ich kann der Fremdenpolizei nur erlauben, dann zu kommen, wenn ich da bin. Aber auch, wenn sie erst um 14 Uhr gekommen wären, hätten sie das Mädchen mitten aus der Stunde gerissen, weil sie bis 15 Uhr Unterricht hatte. Abgesehen davon: Ich halte es nicht für viel besser, wenn man sie kurz vor oder kurz nach dem Unterricht abholt. Das sind Spitzfindigkeiten.

derStandard.at: Es gab auch den Vorwurf, Sie hätten Araksya geholfen, unterzutauchen.

Franz Dvoran: Der geht auch ins Leere. Wir haben nach dem Anruf nachgeschaut, ob Araksya da ist. Die Klassenvorständin hat Araksya informiert, dass die Polizei kommen wird – und ich halte es für absolut notwendig, Kinder auf solche Situationen vorzubereiten. Das Kind war verstört, hat gemeint, sie habe Angst, abgeschoben zu werden. Ich meinte, sie solle keinen Unsinn machen, solle sich beruhigen. Sie hat sich aber nicht beruhigt und ist bei der nächsten Gelegenheit davongelaufen.

derStandard.at: Machen Sie ihr einen Vorwurf?

Franz Dvoran: Nein. Sie hat geahnt, dass etwas auf sie zukommt, aus ihrer Sicht ist das verständlich. Uns war wichtig, dass ihr nichts passiert, dass sie nicht vor ein Auto rennt. Das war schon dramatisch, denn man weiß ja nicht, was das Kind macht. Es war ja schon kalt in diesen Nächten, ich hatte keine Ahnung, wo sie hingeht. Andererseits verstehe ich als Schulleiter meine Position nicht so, dass ich SchülerInnen gewaltsam zurückhalte. Ich kann sie ja nicht in der Direktion einsperren, damit sie nicht davonlaufen kann – und das wird auch hoffentlich niemand von mir erwarten.

derStandard.at: Kritisieren Sie das Vorgehen der Fremdenpolizei?

Franz Dvoran: Nein. Die Polizisten müssen auch ihren Job machen, und ich wüsste nicht, wie sie es besser machen können – jeder Abschiebungsversuch einer Jugendlichen ist problematisch. Dass die Schule der denkbar ungeeignetste Platz dafür ist, das brauche ich wohl nicht zu betonen, das ist klar.

derStandard.at: Araksya ist immer noch von einer Abschiebung bedroht.

Franz Dvoran: Ja. Wir haben keine Garantie, es gibt ja keinen positiven Bescheid. Das sorgt natürlich für eine gewisse Verunsicherung. Ich glaube aber nicht, dass die Fremdenpolizei das noch einmal genauso machen wird. Die werden hoffentlich auch gelernt haben, dass man Kinder nicht aus der Schule abholen kann – weder vor dem Unterricht, noch während des Unterrichts, noch danach. Ob es dadurch besser wird, wenn die Schüler sehen, dass das Mädchen nach den Semesterferien plötzlich nicht zurückkommt, das will ich gar nicht andenken. Die Stimmung in der Schule wäre wohl ziemlich deprimiert. Ob man Kinder, die so gut integriert sind, mehr oder weniger über Nacht in ein Land befördert, wo sie nie waren, das ist eine politische Entscheidung. Aber wenn die Gesetze so sind, dass man das machen muss, dann sollte sich der Gesetzgeber überlegen, ob man das nicht ändern könnte. Es gibt so viele andere Gesetze, die novelliert werden. Das ist meine private Meinung.

derStandard.at: Glauben Sie, dass die Heranwachsenden an Österreichs Schulen gut genug über den Umgang mit Minderheiten in Österreich, über die Behandlung von Nicht-Eu-BürgerInnen informiert werden?

Franz Dvoran: Bei unseren Lehrern funktioniert das gut, aber ich kann das nicht für alle Schulen generalisieren. Dieser Vorfall war natürlich politische Bildung im engsten Sinn.

derStandard.at: Was haben Sie persönlich daraus gelernt?

Franz Dvoran: Dass Medien eine sehr positive Funktion haben können. Ohne diese Berichterstattung wäre das wohl rasch abgehandelt gewesen – dann wäre Araksya vielleicht schon am nächsten Tag abgeschoben worden. So gesehen hatte der Medienrummel einen positiven Effekt.

derStandard.at: Andererseits gibt es Hunderte ähnliche Fälle, wo still und leise abgeschoben wird – ohne Medienbericht.

Franz Dvoran: Das stimmt, und das ist bedenklich. Aber ich habe die Medien nicht gesucht – sie sind zu mir gekommen. Was nicht sein darf, ist, dass denen, die zufällig in die Medien kommen, weil sie Zwillinge sind oder nett aussehen, plötzlich nichts passiert.

derStandard.at: Wie haben Sie den Vorfall in der Schule aufgearbeitet?

Franz Dvoran: Wir haben Hilfe von Schulpsychologen des Stadtschulrats bekommen. Nicht nur die Schüler, auch manche Lehrer haben sich betreuen lassen. Es gibt auch emotionale Bindungen zwischen Schülern und Lehrern. Wenn da plötzlich jemand rausgerissen wird, dann ist das schon verstörend. Alle Beteiligten – Schüler, Lehrer und Eltern – haben sich solidarisch gezeigt, die Schüler haben eine Demonstration organisiert, und es wird noch ein Benefizkonzert für Araksya geben.

derStandard.at: War den LehrerInnen der Klasse bewusst, dass Araksya von der Abschiebung bedroht ist?

Franz Dvoran: Nur teilweise. Den genauen Status der SchülerInnen wissen wir meistens nicht, auch bei der Aufnahme nicht. Das geht aus den Unterlagen ja nicht hervor. Wir erfuhren es erst, als Araksya für einige Tage im September gefehlt hat: Im Nachhinein erfuhren wir, dass ihre Mutter einen Selbstmordversuch gemacht hat, aus Angst vor einer Abschiebung.

derStandard.at: Wäre es Ihnen wichtig, über den Aufenthaltsstatus Ihrer SchülerInnen besser Bescheid zu wissen?

Franz Dvoran:Einerseits ja. Andererseits laufen sie ja nicht mit einem Schild herum, wo „Laufendes Asylverfahren" draufsteht. Den Aufenthaltsstatus in der Klasse zu diskutieren, ist in diesem Alter zu viel verlangt. Araksya ist ja erst 14 – da so stark in den Mittelpunkt gestellt zu werden und zu sehen, wie die anderen über einen diskutieren, das ist nicht angenehm.

derStandard.at: Wie oft passiert es, dass der Aufenthaltsstatus in der Schule zum Thema wird?

Franz Dvoran: Wenn es in der siebten Klasse eine Sprachwoche gibt, wo man ins Ausland fährt, dann kommt man plötzlich drauf: Hoppla, der oder die hat ja gar keinen EU-Pass. Dann kann die Ausreise oder Einreise schwierig werden. Das kommt immer wieder vor. Und da merkt man dann immer wieder: Das grenzenlose Europa ist eben nicht für alle offen. (derStandard.at, 23.11.2010)