Samuel T. wurde am 22. Mai 1991 in Äthiopien geboren. Im September 2005 kam er nach Österreich und stellte einen Asylantrag. Sein Asylantrag war Ende 2008 in letzter Instanz als negativ beschieden worden. Im März 2009 hat er einen Antrag auf humanitäres Bleiberecht in Graz gestellt. Im August 2010 versuchte er zwei Mal sich das Leben zu nehmen, Anfang Oktober kam er aus dem Krankenhaus heraus. Am 11. Oktober 2010 wurde er tot aus der Donau geborgen.

Foto: Caritas

„Er sagt sich los von sich selbst und atmet auf. Nie mehr will er etwas von sich wissen."
(Elias Canetti)

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Mürbe-Machen ist in jedem Kriminalroman eine klassische Strategie der Polizei. Und irgendein Sinn und Zweck müssen doch dahinter stecken, wenn jemand „aufgegriffen", „festgehalten" und wieder frei gelassen wird - um kurz darauf erneut verhaftet zu werden.

Der 19jährige Samuel saß zwei Monate im Polizeianhaltezentrum Hernals in Schubhaft, obwohl bekannt war, dass sein Herkunftsland Äthiopien keine „Heimreisezertifikate" ausstellt, die aber für einen „legalen" Schub benötigt werden. In Freiheit erneut in eine Razzia geraten, erhielt Samuel eine Art „Strafzettel" für illegalen Aufenthalt in Österreich, und zahlte auf Anraten seiner Flüchtlingsbetreuerin brav die 500 Euro ein, obwohl sein Ansuchen auf humanitäres Visum beim Magistrat Graz lag - ohne Antwort, seit eineinhalb Jahren.

Mag sein, dass ein gestandener Berufsverbrecher diesem Dauer-Druck der Behörden standhält - ein ab 14 Jahren in Österreich aufgewachsener junger Mann, der sich plötzlich zu seinem 19. Geburtstag auf der Straße wiederfindet (ohne Ausweis, ohne Möglichkeit ein Zimmer zu mieten oder Geld zu verdienen) sicher nicht.

Feuer am Dach

Zwei Warnzeichen sendete Samuel aus. Er trank eine Mischung aus Waschmitteln. In ein spezielles Krankenhaus eingeliefert, sprang er dort allein gelassen und eingesperrt aus dem offenen Fenster und lag zwei Wochen im Koma. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätten sich die Vertreter der Republik Österreich darauf besinnen können, dass ein Jugendlicher mit so einer schwierigen Situation überfordert ist. Es war Feuer am Dach. Auch die Hilfsorganisationen fielen aus: Niemand besuchte Samuel in der Haft oder später im Krankenhaus. Nur die Äthioper kamen, die ihm jedoch aus materiellen Gründen weder in bezug auf Wohnung noch Rechtsanwalt helfen konnten. 

Samuel sah, dass viele Menschen gegen die Abschiebung anderer Kinder und Jugendlicher auf die Straße gingen. Er hatte niemanden. „Wo ist meine Schulleiterin?", fragte er, „Wo ist mein Sportdirektor vom Fußballverein?" Er beobachtete genau, dass es für ihn keinerlei Empörung oder Aufruhr gab. Er nahm Österreichs Ablehnung zutiefst persönlich.

Körperlich wieder hergestellt, aber weiterhin ohne Hoffnung auf ein reguläres Leben, sollte Samuel in einem ebenerdigen Zimmer in einem Durchgangs-Flüchtlingsheim für aussichtlose Fälle mit fünf anderen Personen wohnen. Kurz darauf verschwand er. Diesmal endgültig und für immer und ohne Rettungsmöglichkeit in die Donau.

Wozu?

Samuels Tod wirft Fragen auf. Wozu einen Jungen, der nicht abgeschoben werden kann, in Schubhaft nehmen? Wieso ihn für „illegalen Aufenthalt in der Republik Österreich" zahlen lassen, wenn er sonst nirgends hin darf? Im Niemandsland zwischen illegalisiertem Aufenthalt und Schubhaft?

Eine weitere zynische Absurdität: Samuels Begräbnis wurde aus seinen Ersparnissen aus jener Summe gezahlt, die er zur Entschädigung für rechtswidrige Schubhaft erhalten hatte - der Junge zahlte auf diese Weise sein eigenes Begräbnis. Hätte die äthiopische Gemeinde nicht interveniert und das Begräbnis organisiert, wäre Samuel in einem Armengrab in Hainburg begraben worden, da die MA 35 Wien nicht dafür aufkommen wollte.

Damit nicht weitere Jugendliche in eine gefährliche Falle existenziellen Ausmaßes geraten und mit dieser unlösbaren Zwickmühle - weder Aufenthalt noch Abschiebung - alleine gelassen werden, gehören dringend Regelungen für das Leben der jungen Menschen her, die „als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge" über Jahre in Österreich leben. Denn irgendeines bösen Morgens werden sie alle volljährig, und verlieren jeden Schutz. So wie Samuel. (derStandard.at, 22.11.2010)