Der Rio Xingu wird von dem Staudammprojekt "Belo Monte" betroffen sein. Im Moment gilt er als artenreichster Fluss der Welt.

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Indigene Völker leben entlang und mit dem Fluss. Sie protestieren seit Jahrzehnten gegen das Kraftwerksprojekt.

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Auch andere Flussbewohner und Kleinbauern brauchen den Fluss zum Überleben. Durch Stauseen und Austrocknung von Flussbetten werden sie gezwungen umzusiedeln. Entschädigungen werden von der Regierung bislang nur schleppend zugesprochen.

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Unterstützung bekommen sie unter anderem vom österreichischen Bischof Kräutler, dem für sein Engagement nun der alternative Nobelpreis verliehen wurde.

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Leonardo Bauer Maggi und Iury Charles sind Mitglieder der Bewegung der Staudamm-Betroffenen in ganz Brasilien. "Das Kraftwerk bedeutet den Tod", sagen sie.

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Brasilien ist der drittgrößte Produzent von Strom aus Wasserkraft - 60 Prozent davon stammen aus dem Amazonas. Nun soll im Bundesstaat Pará mit dem Staudammprojekt "Belo Monte" das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt entstehen. Nur der Drei-Schluchten-Damm in China und das Itaipú-Kraftwerk an der Grenze von Brasilien und Paraguay sind größer. "Staudämme produzieren unter der Bevölkerung Armut und Hunger. Von der Wasserkraft profitieren nicht die Brasilianer, sondern die Unternehmen in den Industrieländern des Nordens", klagt Leonardo Bauer Maggi an. Er ist Mitglied der Bewegung der Staudamm-Betroffenen in ganz Brasilien. "Bis 2030 sind 2500 Staudämme geplant. 1450 davon als Wasserkraftwerke", informiert er. 

"Energie durch Wasserkraft aus Brasilien ist billig, weil sie die soziale Schuld nicht zahlt. Und diese billige Energie zieht Unternehmen aus der ganzen Welt an", sagt Iury Charles, selbst Betroffener durch den Staudamm Castanhão im Bundesstaat Ceará. Für die Umsetzung von "Belo Monte", das 6,4 Prozent des brasilianischen Energiebedarfs decken soll, wird der Xingu-Fluss aufgestaut.

"Die überflutete Fläche soll laut letzten offiziellen Zahlen 668 Quadratkilometer betragen. Das entspricht fast der gemeinsamen Fläche von Boden- und Neusiedlersee", informiert die Dreikönigsaktion, das Hilfswerk der Katholischen Jungschar, die sich seit Jahren gegen das Staudammprojekt ausspricht.

Eine Million Menschen durch Staudammprojekte vertrieben

Iury Charles erzählt vom Schicksal der Menschen in seinem Heimatort: "Der Staudamm bedeutete das Ende, den Tod." Der Stausee wurde 2003 fertiggestellt und hat etwa 350 Quadratkilometer überflutet, vier Gemeinden waren betroffen. "Meine ganze Familienstruktur wurde zerstört. Wir leben heute sehr verstreut. Wir sind seit Generationen eine Bauernfamilie, aber heute bringen wir uns irgendwie in den Städten durch." Schon seine Großeltern wohnten auf dem Familiengrundstück und lebten von Landwirtschaft. Kein Einzelfall: 70 Prozent der brasilianischen Lebensmittel werden durch eine familiäre, kleinräumige Landwirtschaft produziert. Ein Jahr nach der erzwungen Umsiedlung starben die Großeltern.

"Materielle Güter kann man ersetzen, aber was das in der Biografie eines Menschen bedeutet, kann man nicht messen", sagt Charles. Allein auf materiellen Ersatz warten viele Betroffenen vergeblich. "Bis zum Jahr 2000 gab es laut Zahlen der UNO bereits eine Million durch Staudämme vertriebene bzw. abgesiedelte Personen. 70 Prozent dieser Menschen hat keinerlei Abfindung oder Entschädigung bekommen", erklärt Bauer Maggi.

Die Betroffenen haben teilweise durch zähe Proteste ihre Rechte einfordern können, doch gerade Minderheiten bleiben übrig. Die "Ribeirinhos" (die Bewohner der Flussufer) - bestehend aus indigenen Völkern und "Quilombolas" (Nachfahren von schwarzen Sklaven) werden nicht als direkt durch das Projekt "Belo Monte" Betroffene von der Regierung anerkannt. Laut Regierungsangaben müssen 19.242 Menschen auf Grund des geplanten Krafwerks umgesiedelt werden. WissenschafterInnen und KritikerInnen gehen von weitaus höheren Zahlen aus.

Trotz Staudämmen: Hoher Stromtarif für Bevölkerung

Aber auch von der Energie des "Belo Monte" werden die Ärmeren in Brasilien nicht profitieren: Denn der Großteil der Energie wird exportorientierten Industrieunternehmen - etwa zur Aluminiumherstellung - zu Gute kommen. Dieser energieintensive Industriezweig bezahlt nur ein Drittel des üblichen Stromtarifs und wird somit auf Kosten der Steuerzahler und über die Stromrechnung des "Normalverbrauchers" subventioniert. Privathaushalte, die nur 22 Prozent der Energie verbrauchen, bezahlen einen bis zu zehnmal höheren Preis und damit den fünfthöchsten Stromtarif der Welt.

Ökologische Auswirkungen am Rio Xingu

Der Regenwald im Amazonas wird durch Überflutung und Austrocknung zerstört. Der etwa 2000 Kilometer lange Rio Xingu gilt außerdem als einer der artenreichsten Flüsse der Welt: So bietet er zum Beispiel drei- bis viermal so viele Fischarten wie ganz Europa zusammen. Die ökologischen Folgen werden eine Verschlechterung der Wasserqualität und -quantität, Schädigung der Fischerei und Verschmutzung durch die Bauarbeiten sein. In kleinen Wasserbecken, die zwischen den Felsen der "Volta Grande" entstehen, bilden sich zudem ideale Brutbedinungen für Insekten und dadurch wird ein Anstieg der Erkrankungen durch Malaria befürchtet. Nicht nur aufgestautes Wasser ist ein Problem: 100 Kilometer des Rio Xingu sollen trocken gelegt werden. 

Alternativer Nobelpreisfür Bischof Kräutler

Seit 1989 gibt es Proteste gegen den Bau des Riesenstaudamms, die internationales Aufsehen erregten. Auch der österreichische Bischof der Prälatur Xingu, Erwin Kräutler, stellt sich seit drei Jahrzehnten auf die Seite der Indigenen und KraftwerksgegnerInnen. Für sein Engagement wurde ihm in diesem Jahr der alternative Nobelpreis (Right Livelihood Award) verliehen. Doch das Schlüsselprojekt des "Programa de Aceleracao do Crescimento" ("Programm zur Beschleunigung des Wachstums") wurde von dem ehemaligen Präsident Luíz Inácio Lula da Silva ohne Berücksichtigung der internationalen Kritik durchgepeitscht. Auch seine frisch gewählte Nachfolgerin, Dilma Rousseff, die Energieministerin war, will Wasserkraft zur Triebfeder von Brasiliens Wirtschaftsboom machen.

Baubeginn vermutlich schon 2011

Am 20. April dieses Jahres wurde die Lizenz für "Belo Monte" versteigert. Den Zuschlag bekam das von einem staatlichen Unternehmen angeführte Konsortium "Norte Energia". Die Gesamtkosten für das Projekt sind noch unklar. Ursprünglich wurde mit umgerechnet drei Milliarden Euro gerechnet. Mittlerweile werden von der Regierung Zahlen von 8,5 Milliarden Euro kolportiert. Auch die Rentabilität ist unsicher, denn die Wasserführung des Rio Xingu ist unbeständig, das könnte zur Folge haben, dass die Nennleistung von 11 Gigawatt nur drei bis vier Monate im Jahr erbracht werden kann. Mit dem Bau kann erst begonnen werden, wenn vom "Staatlichen Institut für Umwelt und natürliche Ressourcen" (IBAMA) eine Installationslizenz erteilt wird. Der Baubeginn könnte sich bis weit in das kommende Jahr verzögern.

Österreichische Firma profitiert von Kraftwerk

Vier Unternehmen braucht es, um so ein Projekt zu verwirklichen, sagt Bauer Maggi: Ein Unternehmen, das Equipment liefert, eine Bank, ein Energieunternehmen und eine Baufirma. Auch ein österreichisches Unternehmen will sich am Projekt beteiligen: Der Vorstandsvorsitzende des steirischen Anlagebau-Unternehmens Andritz AG bestätigte im August, dass sein Unternehmen gemeinsam mit einem Konsortium mit der deutschen Voith Siemens und der französischen Alstom ein Angebot für die technische Ausstattung des Kraftwerks gelegt hat. Andritz AG würde große Turbinen zuliefern. Der WWF sprach in diesem Zusammenhang von einem "internationalen Skandal".

Bischof Erwin Kräutler kritisiert eine Beteiligung ebenfalls scharf: "Dieses Projekt ist ein Verbrechen an der Natur und an den Menschen. Die Andritz AG darf sich auf keinen Fall daran beteiligen." Auch andere europäische Unternehmen und internationale Konzerne wollen kurzfristig vom Mega-Projekt profitieren, obwohl Bevölkerung und Natur dafür bezahlen. "Unternehmen wie das spanische Stromerzeugungsunternehmen Iberdrola werben in der Heimat mit 'grünen' Kampagnen, legen Wert auf Gütesiegel und Umweltschutz, beteiligen sich aber an dem Staudammbau. In der Heimat machen sie auf umweltbewusst, in Brasilien zerstören sie Umwelt", klagt Iury Charles an. (Julia Schilly, derStandard.at, November 2010)