Nach der Entlarvung des Fake-Bordells als Kunstprojekt rätseln die Steyrer weiter ...

Foto: Bernadette Huber

... der Macht des Tratsches und der Täuschung der eigenen Wahrnehmung.

Steyr - Idyllische Altstadt, Poststelle des Christkindls, historische Produktionsstätte der Steyr-Traktoren und Standort der BMW-Werke. Eingebettet zwischen den Flüssen Enns und Steyr liegt die oberösterreichische Kleinstadt, die in den vergangenen Wochen einem "Stresstest" ausgesetzt war.

So bezeichnet Medienkünstlerin Bernadette Huber, die zuletzt unter anderem mit einer Videoinstallation im Rahmen der Jubiläumsausstellung im Egon Schiele Art Centrum in Ceský Krumlov (Krumau, CZ) Aufsehen erregte, ihr aktuelles Kunstprojekt "Bar Nadette. Die Macht des Tratsches - the power of gossip". Zusammen mit Christina Hinterleitner verklebte sie die Schaufenster eines Geschäftslokals im historischen Wohnviertel Steyrdorf mit rosafarbenen Folien und hängte ein Schild mit der Aufschrift "Bar Nadette" an die Türe. Postwurf- und E-Mail-Aussendung sowie ein perfekter Webauftritt (www.Barnadette.at) ließen viele Stadtbewohner und auch Mitglieder des Gemeinderats glauben, ein neues Bordell würde bald aufmachen.

Fake-Bordell "Bar Nadette"

Auch eine Regionalzeitung berichtete über die eventuell bevorstehende Eröffnung eines neuen Nachtclubs in Steyr. Obwohl Walter Oppl, SPÖ-Vizebürgermeister, die Bar Nadette für einen "Schmäh" hielt, verkündete er in den "Oberösterreichischen Nachrichten", dass die rosa Klebefolien "schnellstmöglich von den Schaufenstern zu lösen sind".

Da es in der kleinbürgerlichen Nachbarschaft der Bar Nadette bereits drei einschlägige Etablissements gibt, fanden es die Künstlerinnen passend, mit diesem Fake-Nachtclub, der außer den erwähnten Marketingstrategien keinen Beweis für seine Existenz lieferte, die Bevölkerung zum Tratschen zu bringen. "Wir wollten die Kommunikation zwischen Menschen, die sonst nicht sehr viel miteinander verbindet, wiederbeleben. Wenn ein Skandal passiert, dann geht Tratsch ganz schnell", so Hinterleitner, die sich bisher in ihrem Entwicklungsbüro für Mode und Design mit Strategien von Kommerzialisierung und Bewerbung auseinandersetzte.

Dass sie damit recht hat, bewies unter anderem schon die Swingerclub-Installation Christoph Büchels in der Wiener Secession vor einigen Monaten. Und Klaus Thiele-Dohrmann schreibt in seiner Kulturgeschichte des Tratsches, "Der Charme des Indiskreten" (1997): "Klatsch ist universell, er ist nicht an Zeiten, Orte, Altersgruppen, Beruf oder Geschlecht gebunden. Dieses menschliche Phänomen ist so alt wie die menschliche Sprache."

Flashmob klärte auf

Nachdem viele Stadtbewohner tagelang über ein neues, skandalöses Nachtlokal tratschten, wurde das Projekt im Rahmen eines Flashmobs (kurzfristig organisierte Menschenansammlung) aufgeklärt. Die Flashmobber wurden vom Türsteher aufgefordert, die Folien von den Schaufenstern zu ziehen. Zum Vorschein kam die Bauernweisheit "Wenn man den Hahn krähen hört, muss man nicht gleich glauben, dass es Tag ist" sowie Wegweiser zu den richtigen Bordellen. Manch einer zeigte sich enttäuscht: "Ich dachte, dass hier ein Puff eröffnet - und jetzt treffe ich euch alle hier", ist auf dem Audiomitschnitt von Huber zu hören, deren Dokumentation des Tratsches ein Teil des Projektes ist.

Behörden liefen heiß

"Mit Kunst im öffentlichen Raum wie dem Projekt "Bar Nadette" erreicht man auch Leute, die sonst nicht viel mit Kunst zu tun haben", erklärt Huber. Einer, der sich wohl damit beschäftigt, ÖVP-Vizebürgermeister und Kulturreferent Gunter Mayrhofer, bestätigt Beschwerden der Nachbarn der Bar Nadette bei der Liegenschaftsverwaltung. Da es sich um ein Haus im Stadtbesitz handelt, wurde dem Büro der Bar Nadette von der Hausverwaltung schriftlich mit behördlichen Konsequenzen gedroht.

Kurt Apfelthaler, Grünen-Vorsitzender im Gemeindeamt, regte der Wirbel um ein weiteres Bordell in der Kleinstadt nicht weiter auf: "Steyr ist früher aufgrund zweier Merkmale berühmt gewesen. Das eine waren die Bordelle, das andere die Traktoren." Die hohe Bordelldichte erkläre sich aus der damals wie heute großen Arbeiterschaft in der Stadt. Manfred Jarisch, Mitinhaber zweier realer Nachtlokale in Steyr, darunter das angeblich älteste Bordell Österreichs, das "Maxim", hielt die Bar Nadette auch für echt und hätte ein weiteres Etablissement als Belebung für sein eigens Geschäft empfunden: "Allerdings finde ich interessant, dass die rosa Verklebung und die Werbung ausreichte, um ein Bordell zu vermuten".

Tratsch geht weiter

Als alles aufgeklärt war, vermutete ein Nachbar, die Bar hätte wegen der Proteste aus der Umgebung zugemacht. Otto Klement, Besitzer des Wirtshauses "Knapp am Eck", möchte sich von dem Kunstprojekt Strategien abschauen, um "auf anderem Weg Werbung für mein Schnitzel zu machen". Bernadette Huber kann sich vorstellen, ein ähnliches Projekt auch in anderen Städten zu realisieren, denn "Menschen sind immer bereit, zu glauben, was sie glauben wollen". (Elisa Weingartner/ DER STANDARD, Printausgabe, 19. 11. 2010)