"So etwas kann man nur machen, wenn man eine Schraube locker hat", sagt Gunther von Hagens selbstironisch, aber doch auch ernst. Die Rede ist vom größten Plastinierungspräparat, das der Erfinder dieser Konservierungstechnik je hergestellt hat. Von Hagens und seine chinesischen Mitarbeiter plastinierten nämlich einen ganzen Elefanten.

Das mit der lockeren Schraube ist nicht grundlos dahergeredet: In dem gewaltigen Elefanten-Exponat, dessen Muskelpartien eindrucksvoll herausgearbeitet sind, stecken laut eigenen Angaben 64.000 Stunden Arbeit, vier Tonnen Silikon, 40.000 Liter Azeton und umgerechnet drei Millionen Euro Material- und Herstellungskosten.

Das 3,2 Tonnen schwere Ding, das 6 Meter lang, 3,5 Meter hoch und ebenso breit ist, passte prompt auch nicht durch das Eingangstor des Naturhistorischen Museums Wien, weshalb es durch ein Fenster in den ersten Stock gehievt wurde. Dort bildet der Elefant, der früher einmal als "Samba" in einem deutschen Zoo lebte, mit zwei Giraffenpräparaten den imposanten Schluss- und Höhepunkt der Sonderschau "Körperwelten der Tiere", die ab sofort im Haus am Ring zu sehen ist.


Copyright: Gunther von Hagens, Institut für Plastination, Heidelberg, www.koerperwelten.com

Foto: Gunther von Hagens, Institut für Plastination, Heidelberg, www.koerperwelten.com

Anatomie-Schauplatz Wien

Wien ist ein gutes Pflaster für den in der DDR aufgewachsenen von Hagens, der 1945 als Gunther Gerhard Liebchen geboren wurde und 1977 die Plastinierung erfand, bei der Organen und anderen Körperteilen Wasser entzogen und durch farblosen Kunststoff ersetzt wird. Bereits ein Jahr später war ein Anatom in Wien sein erster Kunde, und bald wurde auch in Wien plastiniert.

Vor elf Jahren schließlich gastierte von Hagens' umstrittene "Körperwelten"-Schau am Messegelände im Prater und wurde zum Publikumsrenner. Mehr als eine halbe Million Menschen bestaunten damals echte Leichen, die der Plastinator kunstvoll in Szene gesetzt hatte, um so seinen Beitrag zur "Demokratisierung der Anatomie" zu leisten.

Weniger Aufregung

Von Hagens neue Schau, die erstmals außerhalb von Deutschland zu sehen ist, hat gewiss nicht jenes Polarisierungs- und Aufregungspotenzial wie die "Körperwelten". Schließlich sind wir es gewöhnt, in Museen "echte" ausgestopfte Tiere zu sehen. Seine Botschaft hat sich indes nicht verändert: Auch diesmal geht es dem geschäftstüchtigen Popularisator um Aufklärung und Bewusstseinsbildung - diesmal eben für unsere Mitgeschöpfe.


Copyright: Gunther von Hagens, Institut für Plastination, Heidelberg, www.koerperwelten.com

Foto: Gunther von Hagens, Institut für Plastination, Heidelberg, www.koerperwelten.com

Konsequenz kann man dem Mediziner dabei nicht absprechen: Seit der intensiven Beschäftigung mit Tieren, die vor etwa zehn Jahren begann, wurde er zum Vegetarier. Alle plastinierten Lebewesen der Schau sind im übrigen eines natürlichen Todes gestorben und wurden von Zoos gespendet.

In der Sonderausstellung, die für Jugendliche bis 19 Jahren gratis ist, gibt es rund zwei Dutzend tierische Ganzkörper-Ausstellungsobjekte zu sehen - vom Oktopus bis zur Giraffe. Dazu kommen 120 unterschiedlichste Präparate, die einzelne Körperteile zeigen. Besonders eindrucksvoll sind die roten Gefäßgestalten, die ausschließlich aus den plastinierten Arterien der Tiere bestehen. Am knallroten Vogel Strauß etwa wird nicht nur die hohe Handwerkskunst, sondern auch der ästhetische Anspruch des Unterfangens offensichtlich, der mitunter in Kitsch umschlägt: ein vergoldetes Herz eines Bullen eingelegt in durchsichtigen Kunststoff hätte es nicht unbedingt gebraucht.

Anders als in den beiden vorangegangenen deutschen Ausstellungsorten Neunkirchen und Mannheim ist diesmal ein einzelnes menschliches Exponat dabei. Es habe der Wunsch bestanden, zu Vergleichszwecken nahe dem Gorilla-Männchen einen Homo sapiens aufzustellen, sagt von Hagens, der sich auch prompt mit dem Gorilla ablichten lässt.

Von Hagens hat recht: Die 155 Zentimeter Brustumfang des Tiers und seine Muskelberge würden nicht nur den Plastinator, sondern auch den Terminator schwachbrüstig aussehen lassen./DER STANDARD, Printausgabe, 17.11.2010)


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