Neurobiologe Manuel Zimmer hat raffinierte Techniken entwickelt, um lebenden Würmern ins Hirn zu schauen. So lässt sich beobachten, wie Hirnzellen auf Reize reagieren.

Foto: H. Hochstöger

STANDARD: Sie forschen am Caenorhabditis elegans. Warum ausgerechnet an diesem Tier?

Zimmer: Dieser ein Millimeter lange Fadenwurm ist eines der Lieblingstiere der Molekularbiologie. C. elegans war auch der erste Organismus, dessen Genom komplett sequenziert wurde. Für einen Neurobiologen wie mich ist er deshalb so interessant, weil er ein ganz einfaches Gehirn hat.

STANDARD: Warum?

Zimmer: Es ist der Traum von jedem Neurobiologen, einem Tier direkt ins Gehirn zu schauen, während es gerade etwas Bestimmtes tut. Man kann das im Prinzip auch beim Menschen machen: mittels Neuro-Imaging, bei dem aktive Hirnregionen durch Magnetresonanz sichtbar gemacht werden. Aber das ist sehr ungenau. Genauere Methoden sind bei Menschen oder Säugetieren ethisch nicht vertretbar oder technisch zu aufwändig. Deshalb arbeiten wir mit einfachen wirbellosen Tieren, denen wir mit unseren Hilfsmitteln wirklich ins Gehirn schauen können.

STANDARD: Wie sieht so ein Wurmhirn aus?

Zimmer: Auf den ersten Blick ziemlich einfach. Jeder Wurm hat genau 302 Gehirnzellen, während wir Menschen etliche Milliarden davon besitzen. Das heißt, wir wissen beim Menschen nur sehr wenig davon, wo genau die einzelnen aktiven Nervenzellen sitzen und wie sie vernetzt sind. Vom Fadenwurm wissen wir hingegen schon seit den 1980er-Jahren, wie die Neuronen, also die Nervenzellen, miteinander verknüpft sind.

STANDARD: Wenn man die 302 Nervenzellen kennt und weiß, wie sie verschaltet sind, könnte man meinen, ohnehin schon alles Wichtige zu wissen.

Zimmer: Leider ist das Gegenteil wahr: Je mehr wir Tiere erforschen, desto deutlicher wird, was diese 302 Gehirnzellen so alles können und wie wenig wir eigentlich verstehen. Würmer sind zwar nicht sehr intelligent, aber ihr Verhalten ist sehr viel komplexer, als man vermuten würde.

STANDARD: Können Sie ein Beispiel dafür geben?

Zimmer: Die Würmer leben im Boden, und das ist eine recht abwechslungsreiche Umgebung. Dort suchen sie nach Bodenbakterien, die ihre Hauptnahrungsquelle sind. Es gibt aber auch giftige Bakterien oder Fressfeinde. Die Würmer haben deshalb im Lauf der Evolution ein ziemlich raffiniertes sensorisches System entwickelt. Das heißt, sie können riechen, schmecken und fühlen. Sie reagieren außerdem empfindlich auf Licht, können Sauerstoff wahrnehmen und darauf reagieren.

STANDARD: Warum das?

Zimmer: So wie fast alle Lebewesen brauchen die Würmer Sauerstoff zum Atmen. Eine veränderte Sauerstoffkonzentration kann aber auch ein Hinweis auf Nahrung sein, da Bodenbakterien den Sauerstoffgehalt in der Luft verändern. Oder auf eine Gruppe von Fadenwürmern, die sich zum Fressen zu Gruppen von rund 50 Tieren zusammenschließen.

STANDARD: Und wie nehmen die Würmer diese Veränderungen in der Luft wahr?

Zimmer: Wie ich in meinen früheren Forschungen herausgefunden habe, gibt es genau zwei Neuronen, die dafür zuständig sind, und sechs bis sieben sauerstoffempfindliche Moleküle, die auf diesen Nervenzellen verteilt sind. Wahrgenommen wird nur die Veränderung - was wir ja auch aus eigener Erfahrung kennen: Wenn wir uns lange in einem Raum aufhalten, merken wir nicht, dass die Sauerstoffkonzentration nach unten geht. Aber wenn man den Raum von außen betritt, dann fällt das entsprechend auf.

STANDARD: Wie lässt sich das Verhalten der winzigen Würmer so genau studieren?

Zimmer: Dazu haben wir ein eigenes Instrument entwickelt. Das nennt sich Mikrofluidics und sieht ein bisschen wie ein Computerchip aus. Das Ganze wird aus durchsichtigem Kunststoff hergestellt und hat mehrere kleine Kanäle. Da wird der Wurm hineingegeben, der da drinnen verschiedenen Sauerstoffkonzentrationen ausgesetzt wird. Wir bringen bestimmte fluoreszierende Farbstoffe in die Hirnzellen ein, und je nach Aktivität verändert sich die Farbe. Der Vorteil ist, dass wir dafür die Würmer nicht aufschneiden müssen. So können wir am lebenden Tier sichtbar machen, wie die Hirnzellen auf Reize reagieren.

STANDARD: Sie forschen seit einigen Wochen am Institut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien. Was wird da Ihr Projekt sein?

Zimmer: In meinen künftigen Forschungen will ich mich auf die Rolle der Hormone beim Wurm-Verhalten konzentrieren. Die Würmer reagieren auf Reize ja nicht einfach nur in Form von Reflexen, sondern in Form von komplexen Verhaltensweisen. Auch das ist ähnlich wie bei uns: Wenn wir zum Beispiel Hunger haben, dann verhalten wir uns ganz anders, als wenn wir satt sind. Und das wiederum wird von Hormonen gesteuert, die es auch bei den Würmern gibt.

STANDARD: Sie haben zuvor an der Rockefeller University in New York geforscht, einer der erfolgreichsten Forschungseinrichtungen überhaupt. Was hat Sie ans IMP nach Wien verschlagen?

Zimmer: Ich war vorher Post-Doktorand und bin jetzt erstmals Gruppenleiter. Dass ich ans IMP ging, lag zum einen daran, dass mir hier die besten Ressourcen zur Verfügung gestellt wurden. Und dann ist für mich ideal, dass IMP-Direktor Barry Dickson selbst Neurobiologe ist und es außerdem gerade eine Reihe von Nachwuchsforschern am IMP gibt, die sich in einer ähnlichen Karrierephase befinden wie ich.

STANDARD: Warum ist das wichtig?

Zimmer: Wenn man das erste Mal selbst ein solches Labor aufbaut, ist es natürlich ideal, sich mit Leuten austauschen zu können, die das auch gerade machen. Es findet sehr viel Interaktion statt, und wir tauschen viele Ideen aus. Wichtig ist für mich am IMP aber auch, dass ich meine Gerätschaften kriege - also vor allem meine spezialisierten Mikroskope - und ausgezeichnete Mitarbeiter. Mein Erfolg hängt unter anderem davon ab, dass ich gute Studenten kriege. Und die gibt es hier dank des internationalen PhD-Programms. (DER STANDARD, Printausgabe, 17.11.2010)