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Die Anzeichen, dass Portugal und Irland Finanzmittel benötigen, verdichten sich. Der portugiesische Finanzminister Fernando Teixeira dos Santos spricht von einem "hohen Risiko", dass das Land wegen der Schuldenkrise und der Ansteckungsgefahr in der Eurozone den Rettungsfonds beanspruchen müsse. In Irland wird überlegt, EU-Gelder gezielt für seine maroden Banken in Anspruch zu nehmen.

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Wien - Es war eine kleine Gruppe von Entscheidungsträgern, die in der Nacht auf Dienstag, den 30. September 2008, in Dublin zusammenkam, um eine der folgenschwers-ten Entscheidungen in der irischen Geschichte zu treffen. Unter dem Eindruck der Lehman-Pleite und eines Liquiditätsengpasses bei den Banken entschied sich die Regierung für die Offensive. Dublin gab an jenem Dienstag eine Garantie für alle Einlagen und Bankenschulden seiner Finanzinstitute ab - eine Verpflichtung in Höhe von 440 Milliarden Euro.

Zwei Jahre später ist die Rechnung da: Irland könnte nach Griechenland als zweites Euroland um Finanzhilfe ansuchen müssen. Irland benötigt zwar erst im November 2011 Geld vom Markt. Aber um die fällig werdende Anleihe zurückzuzahlen, müsste Dublin schon im Februar damit beginnen, Geld zu einem vernünftigen Preis auszuborgen, sagt die Commerzbank. Das ist aus heutiger Sicht mehr als fraglich.

Irlands Absturz ist deswegen so beachtlich, weil er völlig andere Ursachen als der Zusammenbruch Griechenlands hat - die empfohlenen Kuren sich aber ähneln.

Griechische Finanzinstitute galten lange als stabil und gut kapitalisiert. Irland hingegen wird seit 2008 von seinen Banken hinabgezogen. Im Windschatten von billigem Kapital und niedrigen Steuern boomte der irische Finanzsektor 20 Jahre lang. Die Finanzindustrie trägt mehr zu Irlands Wirtschaftsleistung bei als in Großbritannien. Nun rächt sich diese Größe.

Im Gegensatz zu dem notorisch defizitären Griechenland machte Dublin lange keine Schulden, zwischen 2000 und 2007 war der Haushalt im Plus. Seitdem hat sich die irische Verschuldungsquote aber angesichts immer neuer Bankenhilfen auf über 70 Prozent des BIPs summiert. Tendenz: explosionsartig steigend.

Die lange ausgeglichene Bilanz verdeutlicht auch, dass Irland nicht mit den gleichen Strukturproblemen wie Griechenland kämpft.

Denn mit den Banken wuchs auch die irische Industrie. Eine Dekade lang lag das Wachstum im früheren Armenhaus Europas bei jährlich zehn Prozent. IT-Konzerne (IBM, Intel, Dell, Microsoft) siedelten sich an, 13 der 15 größten Pharmaunternehmen produzieren heute in Irland.

Während Griechenland von Olivenölexport und Tourismus lebt, führt Irland nahezu alles, was es produziert in die EU und nach Europa aus, sagt der irische Ökonom John Fitzgerald. Die irische Industrie gilt auch als dynamisch: Ein Drittel des Exportgeschäfts wird via Internet abgewickelt. Doch diese Erfolgsgeschichte bekam bald Risse. Der Volkswirt Jens Boysen-Hogrefe spricht von einem "wahnsinnig übertriebenen" Wachstum imFinanz- und Bausektor ab dem Jahr 2000. DerBoom speiste sich aus ausländischen Kapitalquellen. Damit rutschte erstmals seit langem die irische Leistungsbilanz ab.

Nun rächte sich, dass Irland sein Wachstum dem Preiswettkampf verdankte. Mit dem Wohlstand stiegen die Einkommen. Doch dieser Anstieg war zu rasant, warnte der Internationale Währungsfonds schon 2004: "Irland büßt einen Teil seiner Wettbewerbsvorteile ein."

Die Karawane zog tatsächlich erstmals weiter. Der Computerhersteller Dell verlagerte seine Produktion beispielsweise 2009 von Irland nach Polen.

Trotz all derUnterschiede auf dem Weg in die Krise schlagen Ökonomen für Griechenland und Irland eine ähnliche Therapie vor.

Wachstum über Exporte - "das ist Irlands einzig gangbarer Weg", sagt Fitzgerald. Ausfuhren müssen wettbewerbsfähiger, sprich billiger werden, die Löhne müssen hinunter. Die griechische Regierung verfolgt unter der IWF-Ägide dieselbe Strategie. Durch den Wirtschaftseinbruch und den Sparkurs Dublins fallen die irischen Löhne aber schon seit Anfang 2009, also völlig ohne fremde Hilfe. "Die Strukturanpassung ist auf dem Weg", sagt daher Ökonom Boysen-Hogrefe, "wenn Irland jemanden hätte, der seine Banken finanziert, bräuchte es kein Geld aus dem Ausland". (András Szigetvari, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16.11.2010)